Blick hinter die Kulissen: Choreografie, Kammertheater

Wenig Licht ins Wissensdunkel

Stuttgart, 21/01/2002

Es gibt weltweit wohl kaum jemanden, unter dessen Augen so viele Choreografien entstanden sind, wie Fritz Höver, den Vorsitzenden der Noverre-Gesellschaft, in deren regelmäßigen Workshops seit Jahrzehnten zahllose junge Ballettmacher der Öffentlichkeit ihre ersten Werke vorgestellt haben. So war es ein durchaus vernünftiger Gedanke, Höver mit der Gestaltung eines der letzten Abende der diesjährigen Reihe „Blick hinter die Kulissen“ zu betrauen, mit der das Stuttgarter Ballett seinem Publikum im Kammertheater sozusagen Insider-Informationen über sein Metier vermittelt.

Aber so interessant und amüsant die knapp zwei Stunden auch waren - ihrem Thema „Wie eine Choreografie entsteht“ sind sie nur unzulänglich gerecht geworden. Höver sprach kurz über seine immensen Erfahrungen, die ihm das jahrelange Beobachten von John Cranko beim Choreografieren vermittelt hätten, und überließ dann das Feld Corinna Spieth, einer Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg, die mit den Tänzern Katja Wünsche und Jason Reilly einen Teil ihres neuen Werkes zu Musik von Benjamin Britten erarbeitete. Das ist ein intensives Geben und Nehmen, ein miteinander Murmeln, Zustimmen, Ausprobieren und Wiederholen, lange Phasen, in denen die junge Choreografin in sich versank und der wohl in ihr klingenden Musik eine körperliche Form zu geben suchte. Nur selten musste George Bailey eine kurze Passage vom Band spielen lassen - über weite Strecken beinahe geräuschlose, intime Momente des Schaffens.

Kein Wort darüber, was Spieth bewegen mochte, gerade dieses und nicht jenes zu tun, wie und wie lange sie sich auf ihr neues Werk vorbereitet hatte, ob dem Stück etwa eine kleine, vielleicht metaphorische Handlung innewohnen solle, ob sie nur aus eigenem Antrieb oder auch auf Bestellung arbeiten könne, welche künstlerische Rolle die Wahl der Tänzer spiele, welche jene der so oft auf Besetzungszetteln genannten „choreografischen Assistenten“. Kein Wort auch darüber, was Tänzer empfinden, wenn für sie choreografiert wird, welches Gewicht sie selbst sich zumessen. Das Thema „Zuschauen, wie jemand choreografiert“ wäre wohl angemessener gewesen.
Erst nach dem Ende des Abends brachten die Fragen einiger Zuschauer, denen sich neben der sehr eloquenten Corinna Spieth auch Hauschoreograf Christian Spuck stellte, etwas Licht in jenes Wissensdunkel, das eigentlich durch den Ablauf der Veranstaltung selbst erhellt werden sollte. Der zweite Teil hatte zwar so gut wie nichts mehr mit dem Thema zu tun, war aber gleichwohl derart kurzweilig und vergnüglich, dass ihm das Publikum wohl noch stundenlang hätte folgen mögen. Lior Lev und Eric Gauthier, beide leicht verletzt, frischten gemeinsam ihre Erinnerungen an Levs komischen Männer-Pas-de-deux „Duo“ auf und richteten ihn auf ihre gegenwärtige Malaise ein, in dem sie sich als das reale Bild jener Männer zeigen, die in Mozarts Oper „Così fan tutte“ von Dorabella und Fiordiligi anfangs angehimmelt werden.

Die beiden waren aufgeräumtester Laune und zu übermütigen Scherzen aufgelegt, mit denen sie sich selbst und ihren begeisterten Zuschauern die Lachtränen in die Augen trieben. Diese heitere Probe, selbst ohne den sich ihr anschließenden, kompletten „Durchlauf“, hätte sogar als reguläre Aufführung das Zeug zu einem Publikumsrenner. Das ist der „Blick hinter die Kulissen“ zu Recht längst. Er wird heute mit „Einem Tag in der John-Cranko-Schule“ beendet.

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