Shiori Tara mit "A Strategy for the Fragile"
Shiori Tara mit "A Strategy for the Fragile"

Visuelle Fragilität

Die neuen Solo-Performances von Shiori Tara und Rita Mazza in einem Double-Bind bei den Berliner Tanztagen

Suche nach Empathie auf der einen Seite, beredtes Schweigen auf der anderen: zwei Arbeiten, die in den Sophiensaelen zu wechselseitiger Wirkung finden.

Berlin, 19/01/2022
Shiori Tada setzt sich in ihrem Solo „A Strategy for the Fragile“ mit Empathie auseinander und stellt die Frage, was es bedeutet, den Schmerz eines anderen Menschen zu empfinden und wem dieser Schmerz gehört. In einem silbernen Ganzkörperanzug, der auch ihr Gesicht bedeckt, noch nicht einmal Löcher für die Augen oder die Nase hat, wird sie selbst zu einem anonymen Wesen, das wenig Raum zur Identifikation bietet. Später streift sie zwar den Anzug ab, aber bleibt doch versteckt durch ihr langes Haar, das weiterhin ihr Gesicht verdeckt. Nun ist sie zwar menschlich, aber nicht minder anonym. Das durchgängige Dröhnen, das den Raum erfüllt, und ihre ruckartigen Bewegungen, die beinahe an einen Roboter erinnern, machen es schwer, sich hier verbunden zu fühlen. Vielleicht ist genau das das Ziel. Eine Auseinandersetzung mit Empathie durch mangelndes Verbundenheitsgefühl. Ist das die Botschaft? Geht die Empathie verloren bei zu viel Anonymität? Ist das unsere moderne Welt? Die Vermutung ist ja, aber aus der Performance geht das nicht klar hervor.

Auf diesen ersten Teil des Abends folgt Rita Mazza mit ihrer Choreografie „Dandelion II“. Das Dröhnen von vorher wird abgelöst durch komplette Stille. Nur die Belüftungsanlage rauscht im Hintergrund. Mazzas Performance ist eine Mischung aus Tanz und Gebärdensprache, verknüpft mit Bewegungsstudien von Laban, Ballett und Visual Vernacular – einer Kunstform der Gebärdensprache. Einige Passagen der Choreografie sind inspiriert von Werken tauber Dichter*innen, darunter „Dandelion“ von Clayton Vallis. Ihre Bewegungen sind fein, fließend und unglaublich ausdruckstark. Durch die Abwesenheit jeglicher Musik oder Sprache, werden sie nochmal besonders hervorgehoben. Was vorher bei Shiori Tada anonym war, ist bei Rita Mazza nun sehr persönlich. Immer wieder tritt sie nah und mit durchdringendem Blick ans Publikum heran, man hört nur ihren Atem. Diese Mischung aus Tanz und Gebärdensprache ist in völligem Einklang, auch mit dem Lichtdesign von Raquel Rosildete. Es gibt noch einen weiteren schönen Moment, da legt sie Kassetten in einen Ghetto-Blaster, der auf einer kleinen Säule im Raum steht, klappt die Antenne aus, drückt auf Play – und die Stille bleibt, natürlich, aber sie tanzt weiter.

Obwohl sich beide Performances auf den ersten Blick stark unterscheiden, fügen sie sich zu einem runden Abend zusammen. Der Kontrast von Lautstärke und Stille, Anonymität und Persönlichem unterstreicht jeweils die andere Arbeit. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze und Techniken heben beide Arbeiten fragile Körper und Sensibilität hervor, sind jeweils auf ihre Art visuell und poetisch. Es fällt daher ein bisschen schwer, beide Arbeiten unabhängig voneinander zu betrachten. Aber am Ende funktioniert vor allem „A Strategy for the Fragile“ so besser.

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