Vor dem Vergessen bewahren - Tanz in der DDR (Mario Schröder, Hanne Wandtke, Arila Siegert, Patrick Primavesi)
Vor dem Vergessen bewahren - Tanz in der DDR (Mario Schröder, Hanne Wandtke, Arila Siegert, Patrick Primavesi)

„Vorwärts und nicht vergessen …“

„Vor dem Vergessen bewahren - Tanz in der DDR“: eine Podiumsdiskussion der Sächsischen Akademie der Künste in Kooperation mit dem Tanzarchiv Leipzig

Wenn man davon ausgeht, dass der Tanz in der DDR eine besondere Rolle spielte, dass es notwendig sei, dieses Erbe zu erforschen und vor dem Vergessen zu bewahren, dann ist es auch aller höchste Zeit, damit zu beginnen. Ein Anfang ist gemacht mit diesem Format.

Hellerau, 17/01/2022

Wenn es stimmt, dass aller Anfang schwer ist, wurde dies immer wieder auf dem von Patrick Primavesi, Professor für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig und Direktor des dortigen Tanzarchivs, moderierten Podium im großen Saal des Festspielhauses Hellerau in Dresden mal mehr oder weniger, mitunter auch beeinträchtigend spürbar.

Ein guter Anfang aber auf jeden Fall insofern, als es mit dieser Veranstaltung nämlich wieder nach einer zweimonatigen Zwangspause los ging in Hellerau. Vor allem auch, weil diese Thematik lebendiger Erinnerungen sichtlich viele Menschen interessiert. Das Tanzerbe sei gut aufgehoben in den Archiven, so Wolfgang Schaller für die Sächsische Akademie der Künste, aber es muss damit gearbeitet werden. Auf dem Podium saßen die Tänzerin, Choreografin und Regisseurin Arila Siegert, Irina Pauls, Choreografin und Regisseurin, Hanne Wandtke, Tänzerin und Pädagogin, Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograf des Leipziger Balletts und Katharina Christl, Professorin des Master-Studiengangs Choreografie an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden. Die Einstiegsrunde war nicht ganz so glücklich, denn die Vorstellung der Einzelnen mit Aufzählungen sämtlicher Auszeichnungen, weniger ihrer Arbeiten, vor allem in der DDR, forderten viel Geduld. Aber wie gelang es dann den somit gründlich ausgewiesenen Fachleuten in der Runde, sich selbst prägnant und themenbezogen vorzustellen, um somit auch hoffentlich einen Diskurs zu ermöglichen?

Alle sind sich einig. Es geht nicht um Schnee von gestern, so Arila Siegert, was da vor dem Vergessen zu bewahren ist: Nicht Asche verwalten, das Feuer weiter tragen, das soll Gustav Mahler so ähnlich gesagt haben, und 2016 kam der Dokumentarfilm über den Choreografen Martin Schläpfer heraus: „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“. Ihre fachlichen Ursprünge haben alle auf dem Podium in Dresden, ausgebildet an der Palucca Schule für Tanz, heute Hochschule, und von Palucca haben sie sich auch alle inspirieren lassen. Hanne Wandtke fasst das zusammen, bei Palucca und deren Neuen Künstlerischen Tanz habe sie gelernt, dass alle Künste zusammengehören; der Tanz sei eine Lebenseinstellung. Es komme darauf an, die Dinge in einem künstlerischen Prozess richtig zusammenzusetzen. Wer Hanne Wandtkes genreüberschreitende, performative Arbeiten noch vor dem Ende der DDR erlebte, wird das nicht vergessen können, denn hier gingen der Tanz, die Musik, die bildende Kunst und Facetten wortloser Kommunikation zusammen und versetzten alle in Bewegung.

Irina Pauls, Tanzausbildung bei Palucca in Dresden, Choreografie-Studium an der Leipziger Theaterhochschule, inzwischen als Choreografin, Regisseurin, Lehrerin international unterwegs und gefragt, war – was im Rahmen dieser Thematik ja wichtig wäre – von 1985 bis 1989 Direktorin der Tanzsparte am Theater in Altenburg. Leider wird sie nicht danach gefragt, wie sie damals ein Repertoire gestaltete, wie Tradition und Moderne zueinander kamen, wie das Publikum reagierte. Da hätte man als Publikum ganz praktisch, authentisch und persönlich etwas erfahren können über den Tanz in der DDR. Mario Schröder, auch bei Palucca zur individuellen Kreativität geführt, aber auch geprägt an der Dresdner Schule durch den chilenischen Choreografen Patricio Bunster, der 1979 mit dem Teatro Lautaro bewusst in die DDR gekommen war und zunächst am Volkstheater Rostock arbeitete. Und wieder eine verschenkte Möglichkeit, etwas über die Spezifika dieses Künstlers zu erfahren, der ja auch in Dresden Kammertanzabende kreierte. Da muss es doch Reaktionen geben, Presse, Erinnerungen an Publikumsgespräche. Immerhin darf man gern sagen, dass Schröder nach der besonderen Zeit mit Uwe Scholz das Leipziger Ballett längst wieder in die oberen Bereiche der zeitgenössischen Ballett- und Tanzkunst geführt hat. Und der Jüngsten in der Runde, Katharina Christl, mit internationalen Erfahrungen nach der Dresdner Ausbildung, die ja auch 1990, als sie mit ihrem Studium begann, nicht frei war vom Geist der DDR, gelingt es immer erfolgreicher, junge Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Herkunft und künstlerischer Erfahrungen, in die kreative Freiheit der Facetten choreografischer Vielfalt zu führen. Palucca aber, so auch sie, sei omnipräsent.

Aber wenn es um Tanz in der DDR geht, geht es da nicht doch um mehr als um das Erbe der Palucca? Nicht alle Tänzerinnen, Tänzer, Choreografinnen und Choreografen wurden bei Palucca ausgebildet. So bleibt es ungewiss, wenn es um die Frage möglicher Rekonstruktionen mit allem Für und Wider geht, es dann auch um Ost-West-Probleme geht, um mangelndes und zum Teil offenbar auch bewusstes Missverstehen seitens jener, denen das Leben in der DDR wenig vertraut war. Dabei waren wir doch weiter. Emanzipation war doch kein Thema für uns, jedenfalls in der Kunst - wirklich? In der nächsten Runde sollten unbedingt Tanzhistoriker, Journalisten dabei sein, die sich auskennen mit dem Tanz in der DDR. Und es gab auch andere Zentren des Tanzes, des Balletts in der DDR, auch wenn was diese Kunst betrifft, Dresden nicht im Tal der Ahnungslosigkeit dahindämmerte – darüber könnte aber vor allem jemand wie der langjährige Direktor des Dresdner Balletts Harald Wandtke Auskunft geben, ein Tanzpublizist wie Volkmar Draeger auch. Also, aller Anfang ist schwer, aber es soll ja weiter gehen, Spezialisten wie Ralf Stabel sollen eingeladen werden, Richard Giersdorf auch. Sein streitbares Buch mit dem provokanten Titel „Volkseigene Körper“ bringt noch ganz spezielle Sichten auch auf die Breite des Tanzes in der DDR mit, wo man ja eigentlich ein ganzes Volk choreografieren wollte.

Und was bedeutete es für die Anerkennung des Tanzes in der DDR, wenn Emmy Köhler-Richter in der Saison 1961/62 am neu eröffneten Leipziger Opernhaus ein offensichtlich so tolles Ballett aufgebaut hatte, dass ihr Warner Egk sein in München, wenige Tage nach der Uraufführung verbotenes Ballett "Abraxas" zur DDR-Erstaufführung anvertraute? Wäre es in solchen Zusammenhängen nicht auch wichtig, dass im damaligen Karl-Marx-Stadt, wo nach 1945 Thea Maaß und Jean Weidt das Ballett wieder aufbauten, es bald zu überregionalem Ansehen führten, und ein so charmanter wie witziger Reißer der Spitzenklasse wie das Ballett »Die drei Schwangeren« von Hermann Rudolph als erste Ost-Choreografie mit Erfolg im Westen getanzt wurde? Tom Schilling wird das fortsetzen.

Also, Fortsetzung folgt, hoffentlich bald, sonst verlischt das Feuer der Erinnerungen. Das hat die erste Runde deutlich gemacht, großen Dank dafür!

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