Katharina Wunderlich
Katharina Wunderlich

A place to be

Interviewreihe zum Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO: Katharina Wunderlich, Tänzerin und Choreografin

Mit ihrem Team „wonder & me“ brachte Katharina Wunderlich hierdurch zwei Projekte auf den Weg, die sich persönlich mit Distanz beschäftigen und Verbindung zu Menschen über ihre Erinnerungsorte und höchsteigene Biografien suchen.

Berlin, 13/01/2022

Im vergangenen, von der Corona-Pandemie geplagten Theaterjahr unterstützte das Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO vom Dachverband Tanz Deutschland e. V. als Teil des HILFSPROGRAMMS TANZ / NEUSTART KULTUR soloselbständige Tanzschaffende. In einer Interviewreihe befragt tanznetz.de einige Künstler*innen, deren künstlerische Projekte im Rahmen dieses Programms gefördert wurden, zu ihren Erfahrungen mit DIS-TANZ-SOLO. Wie bewerten sie den Nutzen und die Nachhaltigkeit der Förderung? Und welchen Stellenwert nimmt diese für das künstlerische Schaffen in Zeiten der Pandemie ein?

Katharina, was war Deine Idee für DIS-TANZ-SOLO?
In meiner Dis-Tanz-Solo-Zeit konnte ich zwei Projekte auf den Weg bringen, die unmittelbar mit dem Thema der Distanz verknüpft waren: Aus der Recherche zu „Bruderzucker – hidden communication“ wuchs ein ganzes Stück heran. Ein Stück, das in die besondere Geschwisterbeziehung meiner Schwester Caroline und mir zu unserem Bruder Mischa – der mit frühkindlichem Autismus diagnostiziert wurde – eintaucht. Eine Suche nach der Nähe zum eigenen Bruder, der in einer Welt fast ohne Worte kreist und den Abstand als Schutz mit sich herumträgt. „Bruderzucker“ schlägt damit auch eine Brücke zu unserer herausfordernden Zeit, in der die Nähe nicht selten zum Balanceakt wird. Das zweite Projekt „Remember – a place to be“ entwickelte sich zu einer Filmreihe, die die Verbindung zu Menschen über deren Erinnerungsorte sucht. Es wandert von Ort zu Ort, um Erlebnissen aufzuspüren, die sich irgendwo an einer Straße, einem zerfallenen Gebäude oder an einer Parkbank verstecken und vor allem im Kopf der Erzählenden herumspuken. Im Team mit meiner Schwester, der Musikerin Caroline Wunderlich, mit der ich seit einigen Jahren in der Company „wonder & me“ (www.wonderandme.de) zusammenarbeite, reisten wir zu den uns anvertrauten Erinnerungsorten, suchten dort nach den Geschichten, um diese in Kurzfilmen – tänzerisch und musikalisch – sichtbar zu machen. So begegneten wir z. B. einer unscheinbaren Kreuzung in Meiningen, die in Kindesjahren täglich den Weg nach Hause blockierte, einer Ruine als Kraftort, einer Fähre als Verbindung zweier fremder Welten. „Remember – a place to be“ wächst als Projekt noch immer weiter und wird in diesem Jahr auf der Streaming Plattform Pantaray TV veröffentlicht.

Trailer: „Remember - a place to be“ von wonder & me

Warum hast Du dieses Förderprogramm gewählt?
Dieses Format war für mich sehr neu, da es eine Brücke schlägt, zwischen einem Stipendium und einer projektbezogenen Förderung. Die Impulse, die auch im Antrag vermittelt wurden, bezogen sich mehr auf den Prozess, als auf ein fertiges Endprodukt, und das entsprach und entspricht eben dieser besonderen Zeit, in der keiner weiß, wie die Realität im nächsten Monat aussieht. Ich hatte das Gefühl, dieses Förderprogramm nutzt die Zeit, die aufgrund der pandemischen Situation entstanden ist, um nicht in den Stillstand, sondern in die Tiefe zu gehen und Projekte zu initiieren und auf den Weg zu bringen, die unter anderen Umständen vielleicht in der Schublade gelandet wären. Und deshalb passte es auch so gut zu den Ideen und Fragen in meinem Kopf.

Was hat die Förderung speziell in den hochpandemischen Zeiten für Dich bedeutet? Finanziell und inhaltlich?
Die Förderung gab mir den entscheidenden Impuls zwei Projekte zu verwirklichen, die mir am Herzen lagen. Durch die monatliche Zahlung war ich finanziell zunächst abgesichert und konnte ohne Druck meine Zeit in diese zwei Projektthemen einfließen lassen. Ich hatte ähnlich wie bei einem Stipendium die Legitimation, mich weiterhin meiner künstlerischen Arbeit zu widmen, ohne ums „Überleben“ kämpfen zu müssen. Darüber hinaus ging es nicht ums „Abliefern“, sondern eintauchen, recherchieren, Gedanken sortieren usw.

Stehen Antragsaufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis?
In diesem Fall, ja. Ich habe viele Förderprogramme erlebt, die beim Beantragen und auch bei der Abrechnung extrem viel Aufwand und Zeit in Anspruch genommen haben. Bei Dis-Tanz-Solo war dieser Prozess etwas leichter und fließender.

War der Förderzeitraum ausreichend, um Dein Projekt abzuschließen bzw. zu wirklicher Vertiefung zu gelangen?
Ich habe den Förderzeitraum mit 4 Monaten selbst recht knapp bemessen. Aber es hat gereicht, um die Grundsteine für beide Projekte zu legen. „Bruderzucker“ konnten wir als Company „wonder and me“ dank einer weiteren Prozess-Förderung auf die virtuelle Bühne bringen. Im Falle von dem Filmprojekt „Remember – a place to be“ konnten einige Videos im Förderzeitraum von Dis-Tanz-Solo gedreht werden, während andere ohne Finanzierung danach entstanden. Um dieses Projekt der Erinnerungsorte fortzuführen und weiterzuentwickeln zu können, haben wir bereits weitere Förderanträge gestellt.

Wie nachhaltig findest Du Dein Projekt? Kannst Du jetzt noch davon profitieren?
Ich profitiere insofern noch immer von diesem Projekt, da es noch einen Weg vor sich hat, um sich komplett zu entfalten. Die Förderung hat vor einem Jahr einige Steine ins Rollen gebracht, und wir feilen jetzt daran, dass sie weiterrollen. „Bruderzucker“ möchten wir nun nach seiner virtuellen Vorstellung endlich auch live spielen, und „Remember – a place to be“ wird 2022 als Filmreihe veröffentlicht und hoffentlich weiterentwickelt.

Würdest Du anderen Künstler*innen oder Tanzschaffenden eine Bewerbung bei dieser Förderung empfehlen?
Definitiv ja, wenn es darum geht, Grundsteine für neue Ideen zu setzen, oder wenn man durch Recherche in die Tiefe von einigen Themen vordringen möchte. Dis-Tanz-Solo gibt einem die Zeit für solche Prozesse. Allerdings braucht man für die konkrete Umsetzung vieler Ideen dann wiederum weitere Fördertöpfe, die ein ganzes spartenübergreifendes Team abdecken können.

Was bedeutet der Begriff „Distanz“ – DIS-TANZ – für Dich?
Distanz verknüpft für mich zwei essentielle Themen meines Lebens, die in den letzten zwei Jahren oft in Konflikt miteinander standen: Der Tanz und die Distanz. Die Silbe „Dis“ allein bedeutet ja schon „entzwei“. Und das fühlt sich unserer Zeit so unglaublich entsprechend an – etwas ist entzweit worden, was eigentlich so tief miteinander verbunden ist: Der Tanz und die körperliche Nähe. Und dennoch versuchen wir das Unmögliche möglich zu machen – verbinden uns tänzerisch ohne körperlichen Kontakt – suchen nach dem tänzerischen Dialog auf Abstand. Der Tanz ist auf Distanz gegangen. Wieviel Tanz in dieser distanzierten Zeit noch möglich ist, was verloren geht, und was wir aber vielleicht auch dazu gewinnen, das loten derzeit alle Künstler*innen auf ihre Art und Weise auf der ganzen Welt aus. Und das verbindet auch wiederum enorm. Das zweite Bild, das mir in den Sinn kommt, ist die Distanz zum eigenen Schaffen, die ja manchmal ganz hilfreich ist. Eine Distanz im Sinne von Innehalten, Überdenken, Um- und Neudenken – um dadurch auf neue Wege zu stoßen, neue Möglichkeiten auszuloten. Und das passt irgendwie auch zur Idee des Förderprogrammes von Distanz, denke ich.

www.wonderandme.de

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