"Alter Hase" von Lajos Talamonti im HochX München

"Alter Hase" von Lajos Talamonti

Atmosphärische Beispielhaftigkeit

München-Premiere von Lajos Talamontis „Alter Hase“

Lajos Talamonti hat ehemalige Kolleg*innen als Gäste einer intimen Retro-Minigala eingeladen: ein spaßiges Szenengemenge aus getanzten und gesprochenen, stillen und lauten Passagen, das hochrelevante Fragestellungen aufwirft.

München, 16/11/2021
Mit Stücken, in denen vor allem Erinnerungen verarbeitet werden, ist das so eine Sache. Ihr Ankommen beim Publikum hängt allein von der spezifischen Aufbereitung des Vergangen-Momenthaften ab und von dessen performativer Umsetzung durch die beteiligten Interpreten. Rückblenden in persönliche Werdegänge können den Blick freilich auch weiten – auf einem selbst Nahes oder privat eher Fernes.

Lajos Talamonti gelingt dies alles, obwohl – oder gerade weil – er sich im Zentrum seiner eigenen Tanzproduktion belässt, die unlängst im Rahmen des „Coming of Age Festivals“ in Berlin uraufgeführt wurde. Weniger durch sein bloßes Ego, sondern – umgeben von einer markanten vierköpfigen Truppe – mehr durch rein atmosphärische Beispielhaftigkeit. Dafür steht, dass er in der Rolle als kleiner Knirps während einer Aufnahmeprüfung zwischen gestern und heute beständig hin und her wechselt. In puncto Lehrer-Schüler-Beziehung reißt er damit – quasi nebenbei – derzeit höchst relevante pädagogische Fragestellungen an.

Sein Projekt „Alter Hase“ war nach der Berlin-Premiere nun auch in München zu sehen, wo Talamonti in den 1980er-Jahren unter Konstanze Vernon eine Ausbildung zum klassischen Tänzer an der Heinz-Bosl-Stiftung/Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater München absolvierte. Genauso wie Marc Geifes, der heute als Physiotherapeut praktiziert, oder Christine Bombosch. Beide gehörten anschließend dem Bayerischen Staatsballett an. Nach eigener Aussage lag eine der Hauptmotivationen von Geifes՚ Tänzerlaufbahn in dem Gedanken, „ohne dauerhafte Schäden aus dem Tanz herauszukommen“.

Bombosch fühlte sich ab 1995 beim Choreografen Philip Taylor, der in Augsburg und dann am Gärtnerplatztheater modernere Ensembles leitete, besser aufgehoben. Unter Tüllrüschen fast erstickend ficht sie im Hintergrund kurz mal einen Existenzkampf mit Showbusiness-Qualitäten aus. Früher als in jeder anderen Theaterbranche muss entschieden werden, was passiert, wenn man mit dem Bühnentanz aufhört. Für Bombosch wurde das Feld „Sozialarbeit“ – seit 2015 bei der Bahnhofsmission München – zur neuen täglichen Performance. Wieder eine Aufgabe, bei der angesichts permanenter auch psychischer Herausforderungen der kollegiale Zusammenhalt ein wichtiger Impulsgeber ist.

Einen anderen Lebensentwurf bietet die Berliner Tänzerin und Ballettdozentin Brit Rodemund. Weiterhin hypergeschmeidig auf dem Parkett unterwegs und im – durch tägliches Training seit der Kindheit – hart erlernten Beruf aktiv konstatiert sie: „Ich begreife mich über den Tanz.“ Martin Clausen wiederum – mit Bewegung als Lehrer für Alexander-Technik vertraut – bringt sich und seinen Bereich „Theater und Schauspiel“ in die Produktion ein. Alle vier verbinden professionelle Erfahrungen mit Talamonti, der bereits seit 1997 zur freischaffenden Berliner Performance-Szene gehört. Begriffe, die auf der HochX-Bühne fallen und den soziologischen Kontext des Tänzerberufs erhellen, sind: „Hinschmeißen“, „Zerbrechen“ und „Salmonellenvergiftung“ – letzteres als Auslöser fürs Karriereende.

Jetzt, „nach dem großen Aufräumen während der Coronapause“ (Talamonti), hat der mittanzende Regisseur die auftretende Schar ehemaliger Kolleg*innen, die sich längst aus den Augen verloren hatten, als Gäste einer intimen Retro-Minigala eingeladen. Der Anlass: sein schön-schräges 38-jähriges Bühnenjubiläum. Als Stückemacher bringt er sich auf diese Weise respektabel neu in Erinnerung.

Es ist ein Spaß, ein Szenengemenge aus getanzten und gesprochenen, stillen und lauten Passagen so präsentiert zu bekommen. Zumal wiederholt subtile Metaebenen mitschwingen. „Ab einem gewissen Alter blickt man zurück auf Menschen, die einen in der ersten Hälfte des Lebens begleitet haben“, sagt Bombosch im Verlauf des Abends. Warum tut man das? Die individuelle Antwort hierauf bildet im Kern das, was den Besuch von „Alter Hase“ lohnend macht.

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