Feministische Nachhilfestunde

Teresa Vittucci mit „Hate me, tender“ im Mannheimer EinTanzHaus

In ihrem Stück nimmt Teresa Vittucci den Mythos der Jungfräulichkeit aufs Korn: Eine Performance zwischen schlauer Provokation und treffsicherem Witz.

Mannheim, 31/10/2021
Gar nicht so einfach, ein Publikum zu provozieren, wenn schon öffentlich-rechtliche Sender in biederen Serien lesbische Küsse als neue Selbstverständlichkeit vorzeigen. Auf der Theaterbühne ist dieses Vorhaben ungleich schwerer, denn das Publikum für zeitgenössische Stücke hat genügend Gelegenheit zur mentalen Abhärtung. Man könnte meinen, es gäbe kaum noch echte Tabus, die sich zur genüsslichen Demontage eignen – aber Teresa Vittucci hat definitiv eines gefunden. In ihrem Stück „Hate me, tender“ – schon im Frühjahr im Mannheimer EinTanzHaus angekündigt, jetzt nachgeholt – zerlegt sie den Mythos der Jungfräulichkeit nach allen Regeln der Performance-Kunst.

Die One-Woman-Show mit dem Untertitel „Solo for Future Feminism” schafft das seltene Kunststück, zugleich schlaue Provokation und treffsicheren Witz untrennbar miteinander zu verbinden. Die 36-jährige Wienerin hat bereits jede Menge Erfahrung darin, gängige Erwartungen zu unterlaufen. Mit der Figur eines Plus-Size Models erfüllt sie die üblichen Standards für eine Ausbildung im zeitgenössischen Tanz ganz und gar nicht – bezeichnend, dass sie es nicht nur geschafft, sondern sich längst einen Namen in der Tanzszene gemacht hat.

In ihrem Stück nimmt Teresa Vittucci den Mythos der Jungfräulichkeit aufs Korn; die Jungfrau Maria dient ihr als prominente Patin für die fatale Gleichsetzung von sexueller Unberührtheit mit mentaler Reinheit. Von da ist es nicht weit zu einer kleinen Nachhilfestunde in Sachen Hymen, über das immer noch viel zu viele Fake Facts im gesellschaftlichen Umlauf sind. Scheinbar vor sich hin singend und plaudernd beherrscht die Performerin die hohe Kunst der beiläufigen Provokation. Sprunghafter Themenwechsel, angefangene und wieder abgebrochene Geschichten, scheinbares Suchen nach Begriffen – so bringt man ein Publikum ganz nebenbei zum selber Denken.

In ihrer Bühnenshow dagegen will sich die Künstlerin dem Publikum zumuten, und zwar genau unterhalb dessen, wo normalerweise die Schamgrenze verläuft. Ihr Kostüm besteht aus Körperbemalung, hochhackigen Stiefeln, einem knallorangen meterlangen Schleier – und sonst nichts. Den Stoff stopft sie sich schon mal zwischen die Beine; sie zerrt an den mehr als stramm geflochtenen Haaren und geißelt sich selbst. Das soll auch beim Zuschauen weh tun: Schließlich ist es nur ein kleiner Anklang dessen, was Frauen mit Blick auf den Mythos des unversehrten Jungfernhäutchens noch immer erleiden müssen.

Das Mannheimer Publikum nahm die intensive und tatsächlich kurzweilige Nachhilfestunde in Sachen Feminismus freundlich an. – „Hate me, tender“, noch vor Corona entstanden, wurde 2019 mit dem Schweizer Tanzpreis ausgezeichnet. Es ist mit Sicherheit nicht die letzte Auszeichnung, die diese Ausnahmekünstlerin bekommen hat.

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