Technik als Korsett?

Irina Pauls untersucht mit „Facing Zero And One“ im Lofft Leipzig die Interaktionsmöglichkeiten von tanzenden Körpern und technischen Gerätschaften

Das Ergebnis ist ein verblüffender und kurzweiliger Abend dicht gepackter Ideen. Die 90 Minuten vergehen wie im Fluge und man ist zugleich überrascht, wie viel in dieser Zeit zu sehen und erleben war.

Leipzig, 04/10/2021

Tanz gilt ja eigentlich als intuitiver Vorgang. Aus Ausdruckswillen, der Beherrschung des Körpers und oft auch Musik schöpfen die Tanzenden, um eigene Bilder zu bauen. Ein Schöpfen aus sich selbst, den eigenen Erfahrungen und Stimmungen, geführt von den Choreografen, die wiederum ihre Vorstellungen mit denen der Tänzer kreuzen. Doch was passiert, wenn man diesen Weg abkürzt und stattdessen Maschinen diese Körperprogrammierung vornehmen lässt? Hier setzt Irina Pauls neue Arbeit „Facing Zero And One“, die an diesem Wochenende am Lofft zu sehen war, an und zugleich die Gedanken von ihrer alten Arbeit „Labora“ fort. Diese hatte 2019 Premiere und beschäftigte sich mit der Auswirkungen von Arbeitsroutinen auf den Körper und versuchte aus diesen künstlerische Bewegungsmuster zu destillieren. Dieses Spannungsfeld von Körper und Maschine schreibt sie nun fort.

Die Bühne ist in Quadrate aufgeteilt, zu Anfang stehen auf der Seite zwei riesige Steuermodule, die den fünf Tänzerinnen und Tänzern den Takt vorgeben. Mittels einer Bauwand mit 8x8 roten Knöpfen können Sequenzen programmiert und mit einem zweiten Schalter das Tempo angepasst werden. Alles wenig futuristisch und auch das Ergebnis ist simpel: Eine grüne Linie, die per Beamer projiziert wird mit Hebungen und Senkungen, die den fünf Tänzerinnen und Tänzern zunächst ganz binär vorgeben, ob sie sich bewegen sollen oder nicht. Das Ergebnis ist Stoptanz, der je höher die Frequenz wird, immer mehr wie ein Stakkato daherkommt. Doch lässt sich das menschlich Individuelle auch durch ein solches Korsett nicht totkriegen. Victoria McConnel, Alina Fenske, Marlen Schumann, Eva Thielken und Rodolfo Piazza Pfitscher da Silva bringen selbst in den kurzen Tanzsequenzen noch eigene Nuancen ein, der Widerstand gegen die digitale Maschine mit ihren Nullen und Einsen, welche die Tänzer ja auch noch selbst programmieren, ist spürbar und wird so etwas wie das Leitmotiv des Abends, der als Versuchsanordnung daherkommt und tatsächlich wie das Re-Enactment der eigenen Recherche der Gruppe wirkt.

Immer mit dabei auf der Bühne sind auch der Videokünstler Matthias Zielfeld und der Soundkünstler Eric Busch, die beide mit verschiedenen Feedback-Mitteln den Abend mitgestalten. So ist mehr der Rahmen als die konkreten choreografischen Elemente festgelegt, Motivation ist eine Art diebische Freude am Ausprobieren. Daher werden im Laufe des Abends die Tänzerinnen und Tänzer an einen Oszillografen angeschlossen, um zu sehen welchen Input der tanzende Körper hat oder die Crew nimmt humoristisch-kritisch das Konzept des Videotanzes auseinander. Dabei tanzt jeweils ein Kompaniemitglied sehr schnell vor einer Kamera, so dass das Bild – ähnlich wie bei einer Internetübertragung – nur sehr abgehakt auf der Leinwand erscheint und irgendwann vollständig einfriert. Doch Tanz kennt kein Einfrieren und so wird die jeweils tanzende Person von den anderen in die eingefrorene Position gebracht samt wehenden Rock und Haaren, um das Spiel fortzusetzen. An anderer Stelle wird Busch der Dirigent am Laptop, der mit dem An und Aus von dunklen, hämmernden Sounds auch die zitternden Körper an- und ausschaltet. Auf der anderen Seite entfliehen die Tanzenden immer wieder diesem technischen Korsett und versuchen doch technische Konzepte etwa der Synchronisation in Tanz zu übersetzen. Doch auch die Technik diktiert nicht nur, kreativ eingesetzt, ergänzen und erweitern auch hier Video und Sound die Möglichkeiten, wenn der eigene Körper sechsmal (und mittels einer einfachen Spiegeltechnik) auf der rückwärtigen Leinwand erscheint oder Bewegungen digital vergrößert werden.

Das Ergebnis ist ein verblüffender und kurzweiliger Abend dicht gepackter Ideen. Die 90 Minuten vergehen wie im Fluge und man ist zugleich überrascht, wie viel in dieser Zeit zu sehen und erleben war. Irina Pauls zeigt wie Technik zwar als Inspirationsquelle dienen kann, dass aber der menschliche Wille den Nullen und Einsen selbstredend überlegen ist. Tolle Bilder produzieren beide zusammen aber dennoch.

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