"Postcolonial Spirits" von Choy Ka Fai.

"Postcolonial Spirits" von Choy Ka Fai.

Auf Entdeckungsreise

Tanz im August in Berlin: „Postcolonial Spirits“ und „CosmicWander“ von Choy Ka Fai

Der multidimensionale One-Man-Show "Postcolonial Spirits" gelingt die Entfaltung seiner potenziellen Brisanz nicht vollständig, während die Ausstellung "CosmicWander" des Berliner Künstlers aus Singapur zu einer beeindruckenden Entdeckungsreise einlädt.

Berlin, 17/08/2021
„You are invited to expand yourself“ steht auf dem Fläschchen, das jeder Besucher, jede Besucherin vor der Vorstellung erhält. Nein, nichts Geistiges; die Ingredienzien – Kurkuma, Ingwer, Galgantwurzel, Palmzucker, Zitronengras, Limetten, Tamarinde, vermischt mit etwas Kokoswasser – lassen keine Halluzinationen aufkommen, und auch die „übersinnliche Präsenz“ von Raden Mas Sosro, die das Programmheft verheißt, ist ohne ein geschultes Sensorium kaum wirksam. Kurz: die „Postcolonial Spirits“, von Choy Ka Fai im Rahmen von „Tanz im August“ im Berliner Hebbeltheater angekündigt, manifestieren sich eher auf gewohnt theatrale Weise: als One-Man-Show von Vincent Riebeek, als Telepräsenz mit dem zwischenzeitlich aus Singapur zugeschalteten Dolalak-Interpreten Andri Kurniawan sowie diversen historischen Film- und Fotoeinblendungen. Alles immer wieder moderiert von dem multidisziplinären Kunstwerker selbst, der sich hier sowohl für Konzept als auch für Dokumentation, Erzählung und Regie verantwortlich zeigt.

Obwohl Choy seit langem in Berlin lebt, ist ihm Singapur nach wie vor nahe. Alle seine Projekte, selbst die Lecture Performance „Nation: Dance Fiction“ vor genau zehn Jahren, kreisen letztlich um Grenzerfahrungen – und der Dolalak-Tanz seiner Heimat eignet sich dafür in ganz besonders. Schon im Kostüm lässt er koloniale Einflüsse erkennen. Das Langarm-Shirt-Modell mitsamt seinen Epauletten erinnert an die Uniformen niederländischer Soldaten, wird aber mit bunten Fäden bestickt und quastenhaft „entfremdet“. Den Schal, auf Java als traditionell um die Taille gebunden, kennt man auch aus anderen Zusammenhängen. Sonnenbrille, Schiebermütze und Socken geben dem Outfit allerdings ein popartiges Aussehen, zu dem auch das choreografische Material gut passt. Manche Bewegungen lassen an Martial Arts denken. Die schüttelnden Schulter- und Hüftbewegungen dienen indes ganz offensichtlich als Mittel der Trance, in die einzelne Tänzer immer wieder verfallen.

Vincent Riebeek, den man vor allem als Partner von Florentina Holzinger kennt, zeigt sich am Ende als versierter Dolalak-Interpret, und seine Auseinandersetzung damit ist insofern auch schlüssig, als der Niederländer die eigenen Vorfahren zu eben jenen Kolonial-Klientel zählt, von denen an diesem Abend immer wieder die Rede ist. Das gibt seiner Deutung einen Hintergrund, den man sich noch konziser gewünscht hätte. Allzu sprunghaft erweist sich davor ein Solo-Einsprengsel aus dem Ballett „Scheherazade“ von Michail Fokine, dem sich per Stream noch Andri Kurniawan als androgyne Zobeide zugesellt: ein Clash der Kulturen, der eigentlich genug Sprengkraft birgt, hier aber nicht wirklich Brisanz besitzt. Vieles bleibt an diesem Abend in einer glamourösen Beliebigkeit befangen.

Ungleich eindrucksvoller ist die „Entdeckungsreise“ in unterschiedliche Bewusstseinszustände, die Choy Ka Foi unter dem Titel „CosmicWander: Expedition“ im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst unternimmt: eine Geister-Schau, bei der es einem ganz physisch die Schuhe auszieht, sofern man sich nicht ohnehin barfüßig auf das bebende Plateau wagt. Umringt wird es von einer 6-Kanal-Videoinstallation, in der Choy per Motion-Capture einen Homunkulus in Beziehung setzt zu ganz verschiedenen Elementen. Eins der fünf Kapitel ist auch den „postkolonialen Geistern“ gewidmet und damit auch dem Dolalak – erlebbar gemacht in überaus intensiven Bildern und nachwirkenden Klängen. Und das noch bis zum 22. August.

Kommentare

Noch keine Beiträge