„Two for The Show. All for One and One for The Money“ von Richard Siegal/Ballet of Difference

„Two for The Show. All for One and One for The Money“ von Richard Siegal/Ballet of Difference

Tonight we´re serving ass not cookies

Virtuelle Realität und echte Körper in Richard Siegals „Two For The Show“ am Schauspiel Köln

Eine selbstreflexive Online-Performance schafft ein großartiges Gesamtkunstwerk, das die zwangsläufige Verlagerung der Tanzszene in die Streamingwelt nutzt, um eine neue Form der Tanzperformance zu schaffen.

Köln, 25/04/2021

Wie ein Blick ins Schlafzimmer wirkt die Einstellung, in der Mason Manning vor der Kamera kniet und versucht eine Abfolge von Bewegungen einzustudieren. Wie ein Mantra murmelt er „I’m a survivor. I’m not gonna hate on you in the magazines“, immer und immer wieder. Aus dem Off erklärt ihm Richard Siegal mit ruhiger, beinahe meditativer, Stimme, dass er das toll macht, aber auch was noch zu verbessern sei. Es wirkt wie ein Moment aus den Proben. Die Szene erinnert an Youtube-Tutorials oder an Videos, in denen sich Jugendliche bei verschiedensten Tätigkeiten filmen. Gleichzeitig klingt Siegals Stimme wie aus einem ASMR-Video. Seinen Körper verkaufen und ständig aufs Neue dazu ermutigt werden – das ist es, was die Performance unglaublich gut einfängt.

Schon in „All For The One And One For The Money“ beschäftigten sich der Choreograf Richard Siegal und seine Tänzer*innen des Ballett of Difference mit ideellen Werten im virtuellen Raum, mit Social Media Kapitalismus, Gemeinschaft und Identität. „Two For The Show“ ist nun die Erweiterung des Werks, die am 24. April ihre Weltpremiere live aus dem Schauspiel Köln hatte. Es ist eine interaktive Performance aus dem Netz, für das Netz.

Es gibt drei parallellaufende Streams, zwischen denen man als Zuschauer*in wählen kann. Wird es zu langweilig, kann einfach zu einem anderen Stream gewechselt werden. Es gibt eine Chatfunktion, mit der sich die Zuschauer*innen über den ganzen Abend hinweg austauschen können. Aus der ganzen Welt begrüßen sich Menschen und alle scheinen begeistert. Viele haben die erste Performance schon gesehen und wissen daher, was auf sie zukommt, was zu tun ist, wenn die Übertragung hängen bleibt, und geben den anderen Tipps. Ein Gefühl von Gemeinsamkeit entsteht da, wenn auch ganz anders als im Theater. Denn genau das ist es ja, was so fehlt seit einem Jahr.

Der erste Teil der Performance ist eine Hommage an den Tanz und das Ballett. Die auf Spitze getanzte Choreografie steht zwar für sich allein zu Beginn des Abends, passt aber ästhetisch perfekt zu allem, was folgt. Die Kostüme von Flora Miranda erinnern sowohl an Punk und Nieten als auch an Tutus und BDSM. Zusammen mit den im Halbkreis angeordneten Neonröhren und der elektronischen Musik von Lorenzo Bianchi Hoesch und Markus Popp wird das Publikum hineingesogen in eine virtuelle, von Technik dominierte Welt. Bewegung, Musik und Licht sind perfekt aufeinander abgestimmt.

Nun kann jeder wählen, ob er weiter die Tänzer*innen verfolgt oder in den anderen Streams jeweils einer Person beim Spielen von Sims, Minecraft oder Limbo zuschaut. Für alle, die sich in der Gaming-Welt wenig auskennen, ist das ein Einblick in ganz neue Sphären des Internets. Hier wird die ganze Bandbreite an Filtern, Voices und alles, was die Sozialen Medien hergeben, genutzt. Es gibt so viele Möglichkeiten und es fällt schwer, sich für ein Video zu entscheiden. Diese beiden Streams vervollständigen die Atmosphäre der virtuellen Realität, in der sich die Zuschauer*innen gerade befinden: Menschen beim Spielen zuschauen, kommentieren, ASMR-Videos, oder Menschen, die ihren Körper komplett preisgeben. Der Körper als Produkt, das Leben als Markt – das scheint über allem zu stehen.

Wenn die Kamera ganz dicht an die Gesichter der Tänzer*innen heranfährt, jeder Schweißtropfen zu sehen ist, und bei den zum Teil sehr knappen Kostümen auch jeder Muskel, wird deutlich, welchen Stellenwert der Körper hat. Er ist immer sichtbar, immer frei zugänglich, um von anderen betrachtet und bewertet zu werden. Durch die verschiebbaren Spiegel des Bühnenbilds von Matthias Singer und Richard Siegal wird das nochmal verstärkt. Ein Körper kann zehnmal zu sehen sein, aus jedem Winkel und es ist unklar, wer hinter diesen Spiegeln sitzt. Körper ist Kapital. QR-Codes erscheinen auf dem Bildschirm, die das Publikum zu Hause scannen kann, um weitere Optionen freizuschalten. Die Zuschauer*innen werden gelockt mit immer neuen und vermeintlich besseren Angeboten. Willkommen im Internet. Irgendwann ist das ganze Bühnenbild verpixelt und erinnert an einen riesigen QR-Code, der später zu einem Barcode auf dem Boden wird, auf dem die Tänzer*innen zu der unglaublich starken elektronischen Musik, die wieder so perfekt auf die Bewegungen und die Lichtprojektionen abgestimmt ist, tanzen. Es ist leicht, die anderen beiden Streams dabei zu vergessen.

Insgesamt sind die Bewegungen so konzipiert, dass sie im Kontrast zu der bedrückenden und düsteren Atmosphäre der virtuellen Welt stehen. Sie sind fließend und stark, teilweise ans Voguing und die Ballroom-Szene angelehnt. Es gibt einen Teil, der besonders heraussticht. Die verschiebbaren Wände werden zu einem Korridor geformt, die Musik wird lauter und der ganze Raum wird mit grellen, bunten Lichtern geflutet. Man hat das Gefühl nun wirklich in der Ballroom-Szene zu sein und den Tänzer*innen dabei zuzusehen, allen voran Black Pearl de Almeida Lima, die einfach fantastisch ist. Aber auch hier bleibt klar, der Körper steht im Vordergrund. Er wird genauso vermarktet wie in den Sozialen Medien.

Das darzustellen, schaffen Richard Siegal und die großartigen Tänzer*innen des Ballett of Difference mit „Two For The Show (All For One And One For The Money)“ auf herausragende Weise. Die unterschiedlichen Zugänge von Körperkapitalismus, Virtual Reality und Social Media fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das die Digitalisierung der Kunst nutzt, um neue Formen dafür zu schaffen. Und doch geht dabei nicht verloren, was die Problematik des Ganzen ist.

 

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