„Rooms“ von Jo Strømgren

„Rooms“ von Jo Strømgren

Transzendental obdachlos oder: Mein Haus ist nicht dein Haus

Die Londoner Rambert Company gastiert mit dem Tanzfilm „Rooms“ virtuell bei Tanz Köln

Was an kleinen und großen Geschichten hinter verschlossenen Türen, dicht beieinander und doch voneinander getrennt, geschieht, zeigt Jo Strømgren.

Köln, 11/04/2021

Was tun wir, wenn wir uns unbeobachtet fühlen, sicher, in den eigenen vier Wänden, hinter allen verschlossenen Türen? Eine Frage, deren Relevanz sich in den letzten zwölf Monaten erstaunlich gewandelt hat. Eine unbeabsichtigte Aufwertung unseres individuellen Konzeptes „Heim“, das nicht für jede*n eines sein kann. Der norwegische Choreograf Jo Strømgren, bekannt für seine von Skurrilität geprägte Handschrift, hat gemeinsam mit 17 Tänzerinnen und Tänzern der Rambert Company ein auf den ersten Blick zusammenhangloses Gefüge kurzer Szenen erarbeitet, die sich in der filmischen Umsetzung weit vom Tanz wegbewegen und schauspielerische und dialogische Elemente einbeziehen.

Was mit dem ausgelassenen Gelächter einer weinseligen Runde am Tisch beginnt, lässt den Eindruck der illusionistischen vierten Wand zwischen Zuschauer*innen und Performance entstehen; die Kamera gleitet geräuschlos und unter Überwindung der Zwischenwände zwischen drei nebeneinander liegenden Räumen hin und zurück. Diese augenscheinliche Gleichförmigkeit wird allerdings zugunsten kameratechnischer Fokussierungen immer wieder gekonnt gebrochen. Dadurch entstehen erzählerische Möglichkeiten, die vor Ort in einem Theater so gar nicht gegeben sind.

In diesen drei Räumen, nur einer von ihnen verfügt über ein großzügiges Fenster in der Rückwand, entspinnen sich teils klaustrophobische, teils banale, aber in jedem einzelnen Fall leicht zu erschließende Ereignisse. Da überrascht die rückkehrende Gattin den Gatten mit einer Anderen im Bett. Die Cannabis-Plantage eines Kiffers mit Duschhaube wird von der Polizei hochgenommen, er selbst jedoch verschwindet kurzerhand „ab durch die Decke“. Die Mitglieder eines religiösen Kults erfahren eine Art Segnungs-Ritual, im Zuge dessen sie sich einzeln nacheinander aus dem Fenster stürzen. Nur ist dazu ganz offenbar nicht jede*r bereit.

Es ist die räumliche Begrenztheit, die Beengtheit der Zimmer, die den Tanz an sich nicht in den Vordergrund treten lassen können. Und genau das scheint der Punkt zu sein. So nahe die Wände beieinander stehen, so nahe kommen sich die mehr als 100 Charaktere immer wieder, was in jeder Szene zu einer Art Eskalation führt. Immer wieder, ohne Ausweg, ohne Ende. Die Eskalation selbst nimmt nur den inneren Druck, vorerst. Trotzdem geht alles weiter.

Das ist völlig bar jeglicher Dramaturgie gestaltet. Dank der überraschenden Ideen und der schnellen Wechsel braucht es die aber auch nicht. Manche Szenen erscheinen ineinander verzahnt, stehen aber dann doch ganz für sich. Und alles auffallend nervös, neurotisch. Nur einer weiblichen Figur, die an Frida Kahlo angelehnt scheint, wird für einen kurzen Moment auffällig warmes Licht gegönnt. So, wie wir alle, geben auch diese Figuren ihr Bestes, wortwörtlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es sind Versuche des Miteinanders, die aber kaum mehr als ein Nebeneinander entstehen lassen. Da lärmen die grölenden Fußballfans derart aggressiv, dass den klassischen Musiker*innen im Nebenzimmer die Lust an den Noten flöten geht. Diese Nebeneinandersetzungen starker Kontraste wirkt so schräg wie gleichzeitig realistisch.

Spätestens, wenn Purcells tragisches „O let me weep“ aus der Oper „Fairy Queen“ erklingt, wird deutlich, welch humanistische Tragik dem ganzen auch eingelesen werden kann oder vielleicht sogar sollte: Alles Geschehen tritt auf der Stelle. Jo Strømgren erzählt keine Geschichte, vielmehr zeigt er einen zutiefst menschlichen Zustand auf. ‚This is what we are‛, denn völlig unerwartet dreht sich die Kamera um 90 Grad und blickt durch die offenen Türen durch alle drei Räume hindurch. Ein kurzer Moment der Transzendenz, ein Hauch von Trost, der zu sagen scheint: Es ist nicht schlimm, wenn wir das hier gerade vielleicht nicht verstehen. Wenn wir Glück haben, ist das alles nur ein schlechter Traum.

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