Abschied von Ursula Bischoff-Mußhake

Die unermüdliche Tanzpädagogin starb im Alter von 94 Jahren

Ursula Bischoff-Mußhake war maßgeblich am Aufbau der freien Tanzszene in Stuttgart beteiligt und prägte Generationen von Tänzer*innen und Choreograf*innen.

Stuttgart, 25/03/2021

Von Claudia Fleischle-Braun

Am 12. März verstarb Ursula Bischoff-Mußhake im Alter von 94 Jahren. Sie wirkte ein halbes Jahrhundert als unermüdliche und hochgeschätzte Tanzpädagogin und hatte in ihrem Tanzstudio TELOS vielen Nachwuchstänzer*innen und Choreograf*innen Möglichkeiten eröffnet, ihre künstlerischen Talente zu erproben und weiterzuentwickeln.

Ihren ersten Tanzunterricht erhielt Ursula Bischoff-Mußhake (geb. 1927) bei Ida Herion, die als Pianistin eine der frühen Wegbereiterinnen des modernen künstlerischen Tanzes in Stuttgart überhaupt war. Unter bereits äußerst schwierigen Bedingungen absolvierte sie dann während der Endphase des Zweiten Weltkrieges (1943-1945) ihre Ausbildung zur Tanz- und Bewegungspädagogin an der Dorothee-Günther-Schule in München, wo sie auch die Gelegenheit hatte, am Unterricht von Maja Lex teilzunehmen. Nach ihrem Examen assistierte sie zunächst Elisabeth Duncan (1946/47), die in Stuttgart und in Winterbach Unterrichtsstunden gab. In den 1950er Jahren nahm Ursula Bischoff noch an Kursen bei Harald Kreuzberg in Bern teil, außerdem trainierte sie Klassisches Ballett bei Karl-Heinz King und Peter Roleff (München) und bei Anneliese Mörike (Stuttgart).

1948 eröffnete Ursula Bischoff in Stuttgart dann ihre eigene Tanz- und Ballettschule, die sich – gewissermaßen als Vorläufer der Freien Szene – bis in die 1980/90er Jahre zu einem außergewöhnlichen und bedeutsamen Zentrum für modernen Tanz und zeitgenössisches Tanztheater entwickeln konnte. Aufgrund ihrer breiten Ausbildung in verschiedenen Tanzstilen verfügte Ursula Bischoff über ein umfangreiches Bewegungsrepertoire und Wissen, und sie verfolgte aufmerksam, neugierig und bisweilen auch kritisch Entwicklungen im Feld der Lehre sowie der Tanzkunst und des Tanztrainings. Das TELOS-Tanzstudio zeichnete sich durch seinen ganzheitlich-integrierenden Ansatz von Kunst, Pädagogik und Therapie aus. Mit großem persönlichem Einsatz widmete sich Ursula Bischoff-Mußhake der Aufgabe, neben dem Schulbetrieb ein professionelles Tanzensemble aufzubauen, das aus hörenden und hörgeschädigten Tänzer*innen bestand. Aufgrund eines Lehrauftrags an der Staatlichen Heimsonderschule für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche in Nürtingen, den sie 1969/70 übernommen hatte, sammelte sie Erfahrungen für diese Aufgabe und ihr Wirken war seinerzeit beispielhaft im Sinne des Inklusionsgedankens. Hilfreich erwiesen sich dabei auch Handgestenspiele, die sie von Wilma Ellersiek übernommen hatte und die in der rhythmisch-musikalische Erziehung von Vorschulkindern vielfach angewendet wurden.

Die vom Expressionismus geprägten Tanzstücke, die Ursula Bischoff-Mußhake für ihr Ensemble und sich geschaffen hatte, basierten häufig auf literarischen Vorlagen wie beispielsweise biblischen Erzählungen („Die Hexe von Endor“) oder Gedichten der deutsch-schwedischen Dichterin Nelly Sachs („Reise nach Ur“).
In den 1980er Jahren war das TELOS-Studio nicht nur eine fachlich renommierte Ausbildungsstätte für den tänzerischen Nachwuchs, sondern die TELOS-Bühne war für eine Reihe von jungen Choreograf*innen des Zeitgenössischen Tanzes und Tanztheaters ein Sprungbrett, das ihnen die Chance bot, für und mit der TELOS-Tanzgruppe Stücke zu erarbeiten und aufzuführen.

Nachdem Ursula Bischoff-Mußhake 1997 das TELOS-Ensemble aufgelöst, ihr tanzkünstlerisches Engagement und ihre Schule reduziert hatte, unterrichtete sie weiter nach der Pilates-Methode und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die behutsame und fachgerechte Vermittlung dieses gesundheitsorientierten Körpertrainings. Auch nach der endgültigen Schließung des TELOS-Studios im Jahr 2010 gab sie noch lange Zeit in ihrem Heimatort Leonberg ihr immenses Körper- und Bewegungswissen in Privatkursen und im Einzelunterricht weiter.

Ursula Bischoff-Mußhake war noch aktiv am Stuttgarter Tanzfonds Erbe-Projekt „TANZLOKAL“ (2013) beteiligt und ihre wertschätzenden Worte bildeten den O-Ton der von der Stuttgarter Choreografin Nina Kurzeja geschaffenen Installation und Tanzproduktion „Ida Herion. A Trace Back Session - Ein Stück zur vergessenen Geschichte des Neuen Tanzes in Stuttgart“ (2015). Die Erinnerungen von Ursula Bischoff vermitteln einen Eindruck von der Aufgeschlossenheit und dem freien Geist, der an jener Ausbildungsschule gegenwärtig war. Diese Atmosphäre der Freizügigkeit und Wertschätzung herrschte fortwährend auch an ihrer Schule und begleitete Ursula Bischoff-Mußhake während ihrer eigenen langjährigen Arbeit. In der ihr eigenen Bescheidenheit und Beharrlichkeit, und vor allem durch ihre gelebte Passion für den Tanz und das tanzkünstlerische Schaffen hatte Ursula Bischoff-Mußhake maßgeblich Generationen von Schüler*innen, Lehrkräften und den Kreis ihrer Tanzkolleg*innen beeindruckt und beeinflusst.

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