„Eden One“ von Gonzalo Galguera

„Eden One“ von Gonzalo Galguera

Weggehen, Ankommen, Suchen und Finden, das Paradies in uns

"Eden One" - Ballettminiaturen von Gonzalo Galguera beim Ballett in Magdeburg

Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera kreiert für eine Tänzerin und vier Tänzer zu schönsten barocken Klängen Tanz-Miniaturen. Das Ergebnis ist tänzerisch, musikalisch und inhaltlich alles andere als kleinformatig geraten.

Magdeburg, 16/03/2021

Paradiesisch ist das alles nicht zur Zeit. Eigentlich wollte Gonzalo Galguera in Magdeburg mit dem Klassiker „Paquita“ wieder eine große Ballettproduktion herausbringen, selten zu erleben, bei deutschen Kompanien erst recht, aber wenn doch, dann in Magdeburg, wo sonst. Da heißt es nun warten ob stark eingeschränkter Probenbedingungen.

Aber Stillstand im Ballett? Undenkbar. Also beschäftigt sich Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera – gerade mit zwei der renommiertesten Tanzpreise in Italien ausgezeichnet – mit kleineren, angemesseneren Formen des Balletts und kreiert für eine Tänzerin und vier Tänzer zu schönsten barocken Klängen Tanz-Miniaturen. Das Ergebnis ist aber tänzerisch, musikalisch und inhaltlich alles andere als kleinformatig geraten. Online, wie sonst, natürlich eine Notlösung, die es in diesem Falle aber zum Glück möglich macht, sich mit Anastasia Gavrilenkova, Mihael Bellow, Antoine Bertran, Admir Kolbuçaj und Giorgio Perego in den Kostümen von Stephan Stanisic auf der von Christiane Hercher gestalteten Bühne auf die Suche nach dem angeblich für immer verlorenen Paradies zu machen.

Auch wenn der Ausgang offen ist, wenn sich am Ende der lichtvolle Streifen in Grün und Blau mit unbestimmtem Ausblick am sonst dunklen Bühnenhorizont wieder schließt, die Aufbrüche dieser Tanzminiaturen lassen verloren geglaubte Sehsüchte wieder erstarken. So wie es ja nicht selten die kleinen Dinge sind, die uns entzücken, so eben auch die Miniaturen choreografischer Momente, die sich hier in gut 30 Minuten zusammenfügen und fast meditativ sich zu dem Gedanken verhalten, dass man weggehen muss, dennoch verwurzelt zu sein, seinen Standort zu haben, als zöge die Landschaft vorbei und man selbst bliebe stehen. So Motive in einem Gedicht von Hilde Domin, auf deren Lyrik sich Gonzalo Galguera in seinen choreografischen Miniaturen bezieht. Einsichten und Ansichten solcher Art aber wollen gefunden sein, so sieht man zunächst das irrende Solo eines Tänzers vor dunklem Hintergrund. Wenn sich die Finsternis des Horizontes auflöst, ein schmaler Lichtstreifen sich zeigt, wandelt sich auch der Tanz in leichte, sprunghafte Beweglichkeit des Solisten. Und immer wieder, auch wenn ein zweiter Tänzer hinzukommt, nach kurzer Begegnung mit feingliedrigen Sprungdrehungen, beginnen die Beziehungen zwischen Bodenhaftung und Höhenbezug aus den klassischen Traditionen des Balletts ins Zeitgenössische zu variieren.

Immer wieder – und das möchte man schon gerne für das Aufblitzen paradiesischer Momente empfinden – vermag es Galguera, die Tänzer in einen betörenden Dialog mit den musikalischen Emotionen ausgewählter Barockmelodik zu führen. Und aus dem musikalischen Dialog entwickelt sich einer der Körper zweier Tänzer. Was zunächst wie synchron choreografiert wirken könnte, erweist sich bald als die jeweils individualisierte Weiterführung einer Art Spiegelung, aber in Wandlungen, die bei minimalen Veränderungen neue Visionen aussenden.

Dieses tänzerische Miteinander, diese Ablösungen und Weiterführungen, die von jeglichem Gefühl der Einsamkeit freien Solovarianten, nehmen natürlich auch spirituelle Traditionen des Tanzes auf, wie sie nicht zuletzt in die Elemente klassischer Ballettkunst Eingang gefunden haben. „Seht was die Liebe tut“ heißt es in Bachs Kantate „Ich bin ein guter Hirte“, und wenn dazu in erhabener Leichtigkeit getanzt wird, eben in einer Abfolge klassischer Motive, allein und im zugeneigten Miteinander, dann könnte sich schon für Momente, getragen durch die tänzerische Kraft der Zärtlichkeit, ein Weg in paradiesische Gefilde finden lassen. Dazu gehören auch glückhafte Momente in der Art eines Pas de trois wenn die Tänzerin dazu kommt, deren Solo dann aber vor allem auf spitzenmäßige Art getanzte Glücksmomente vermittelt. Am Ende, im kurzen Finale, noch einmal für alle diese Motive des Suchens, des Findens, vor allem aber des Empfindens, bei dem man, um noch einmal Hilde Domin zu zitieren, den Atem anhalten müsse, in diesem Spiel von Licht und Schatten, in dem eben auch alte Muster zu erkennen sind, die uns zeigen, wo wir zu Hause sind.

Ganz sicher nicht derzeit im Paradies, aber paradiesische Momente, etwa Ballettminiaturen solcher Art, vermögen die Lust daran zu wecken, nämlich zu erkunden, was sich hinter jenem Lichtstreifen am dunklen Horizont finden lassen könnte.

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