„Stranger Than Paradise“ von Chris Haring/Liquid Loft

„Stranger Than Paradise“ von Chris Haring/Liquid Loft

Groteskes Paradies

„Stranger Than Paradise“ von Chris Haring/Liquid Loft am Tanzquartier Wien

Mit Video auf der Bühne kennt sich Liquid Loft bestens aus. Auch den Transfer ins rein Digitale meistert Chris Haring tadellos und kreiert utopische Bilder, die trotz des gleichnamigen eher melancholischen Jarmusch-Films einen starken Optimismus versprühen.

Wien, 29/01/2021

Mit Video kennen Chris Haring, künstlerischer Leiter der Compagnie Liquid Loft, und seine Partner*innen sich aus. Bereits in den früheren Arbeiten verschränken er und seine Performer*innen Video und Tanz. Tanzfilme gehören zum Repertoire der Truppe und auf der Bühne thematisiert sie ausgehend von Kino-Klassikern Fragen von Raum, Körper und projizierten Bildern. In Erinnerung bleiben eindrucksvolle Darbietungen voll technischer Raffinesse, die schon für sich alleine eine Erzählebene darstellt. Mit „Stranger Than Paradise“, tatsächlich nur sehr lose mit dem gleichnamigen Jim-Jarmusch-Film von 1984 verbunden, hat Liquid Loft nun am Tanzquartier Wien eine reine Videoperformance auf den Weg gebracht, die dieses Medium ernst nimmt und sich auf Suche macht nach produktiven Schnittstellen zwischen Bühne und Film, oder genauer: zu (ab-)gefilmtem Tanz. Also keine abgefilmte Bühnenproduktion, sondern ein spezifisch an das Videoformat angepasstes Werk.

Es geht um die Möglichkeit eines Bildes und die Darstellung der tanzenden Performer*innen in diesem Bild. Wichtigstes Funktionselement von sind dabei große biegbare Spiegel, in denen die Performer*innen ihre Körper und Gesichter zu grotesken Figuren werden lassen können. So sitzt, gleich nach dem Start mit repetitiver Lounge-Musik, Dong Uk Kim in roter Hose und blauem Oberteil mit Drachenmustern, alles wie in glänzender Seide, vor einem dieser Spiegel und das Bild zeigt einen grotesk gedehnten Körper mit bisweilen zwei Köpfen, während das Original des Doubles anmutig vor dem Bild hin und her gleitet und die Reflexion ständig kontrolliert. Dazu singt er langsam auf (Komposition: Andreas Berger). Minimalistische dunkle Reflexionen, die vor allem funktionieren, weil die Kamera, anders als in der Bühnensituation, gezielt Ausschnitte kontrollieren kann. Immer wieder spielt die Produktion der Kameraleute Michael Loizenbauer und Kurt van der Vloedt mit solchen Perspektivfragen.

Zusammen tanzen ist dieser Tage schwer und so gelingen auch die Gruppenszenen nur als Andeutungen und Tableaus, immer orchestriert vom klaren Lichteinsatz von Thomas Jelinek, der es mal grell überstrahlend, mal als dunkles Schattenwerk in diesem weißen Kubus inszeniert. Klare Stimmungen für ein ansonsten atomisiertes Ensemble. Nur selten gibt es Momente der Kommunikation, alle agieren scheinbar autonom, doch in dieser vorgeblichen Beliebigkeit kommt es zu gemeinsamen synchronen Momenten. Der Mensch existiert eben nicht nur als isolierte Monade – auch nicht in Zeiten des Zwangsabstandes und freiwilligen Selbstisolation. Selbst hier findet er irgendwie mit den anderen zusammen, vielleicht nur vermittelt über mediale Angebote, um gemeinsam zu hoffen, dass das solitäre Schauen im Stream bald wieder dem Saal weicht. Es wird ein Moment der Freude sein und die ausgelassene Schlussszene, bei der alle wie wild von beiden Seiten immer wieder durchs Bild laufen, gibt einen schönen, positiven Ausblick. Anders übrigens als der Jarmusch-Film mit seinem starken Pesthauch der Melancholie. Tanz will da mehr.

Video noch bis 30.1. unter www.tqw.at verfügbar.

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