Goyo Monteros „Über den Wolf“ als Online-Inszenierung des Balletts in Nürnberg
Goyo Monteros „Über den Wolf“ als Online-Inszenierung des Balletts in Nürnberg

Tanzen hilft. Gegen Wölfe und Worte

„Über den Wolf“ als Online-Inszenierung des Balletts in Nürnberg

Aus Prokofjews sinfonischer Erzählung für Kinder „Peter und der Wolf“ konzipiert gut 85 Jahre später Goyo Montero angesichts der gegenwärtigen, auch Ängste verursachenden Coronagefahren - das Tanzstück „Über den Wolf“.

Nürnberg, 17/01/2021

Getanzt wird auch, aber es wird vor allem viel gesprochen in dieser Koproduktion mit dem Schauspiel des Staatstheaters Nürnberg. Owen Belton hat in Anklängen an die ursprüngliche Partitur, die eigentlich als künstlerisches Schulwerk für Kinder gedacht war, als Vorstellung einzelner Instrumente, Soundflächen komponiert, die im Wesentlichen den ersten, von der Sprache geprägten Teil, geheimnisvoll und mystisch unterlegen.

Weil die Uraufführung im Theater mehrfach verschoben werden musste, kam in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk nun eine eigens für das Medium überarbeitete Online-Inszenierung in der Regie von Hans Hadulla heraus. Und da hört man zunächst den Wind kräftig wehen, aus himmlischen Höhen fährt der Kamerablick über Nürnbergs Dächer geradewegs zum Theater und dann auch hinein. Es geht durch die typischen Labyrinthe der Gänge in den Untergeschossen, durch einen leeren Ballettsaal. Dazu gibt der Choreograf in englischer Sprache, in wahrnehmbarer, persönlicher Betroffenheit, zu verstehen, dass er mit dieser Kreation ein Stück über eine Person erarbeitet habe, die leidet, die in eine seelische Schieflage geraten ist, Stimmen im Kopf hört – und das sind auch jene der Figuren aus dem musikalischen Märchen „Peter und der Wolf“.

Dann, getanzt wird noch lange nicht, hat erstmal der Schauspieler Thomas Nunner seine Auf- und Abtritte, seine vor allem verbalen Irrungen und Wirrungen durch die Labyrinthe der Ängste vor dem Wolf als Sinnbild einer Bedrohung, die sich nicht definieren lässt. Er ist 'Der Mann': Zunächst liegt er auf der Bühne, es hat aber immer wieder den Anschein, als läge er auf der Couch und man wird am Bildschirm Zeuge einer Therapiesitzung, in der es darum gehen könnte, dass jener Mann die Stimmen in seinem Kopf entweder zuordnen oder zum Schweigen bringen will. Es sind immer neue Angstvarianten, die sich hier Bahn brechen und Gestalten finsterer Schatten annehmen.

Und jetzt dürfen sich die Tänzerinnen und Tänzer auch in entindividualisierten Formen illustrierend bewegen. Ja, möchte man dann doch bald sagen, ist schon klar, der Mann kommt nicht damit klar, dass er einsam ist, dass es an Kontakten fehlt, dass gewisse, nicht näher beschriebene Ängste ihm zu schaffen machen – das könnten aktuelle Fernsehnachrichten sein oder Männer mit Flügeln aus Toilettenpapier, die später sogar verbrennen. Aber bitte nicht nachdenken, lieber fressen und schlafen im Lockdown. Aber bitte unbedingt vegan fressen. Dann merkt er es selbst, er hört nicht auf zu reden, er hört nicht auf, Phrasen zu dreschen, doch die Angst vor dem Wolf bleibt, auch die Angst davor, jemanden zu berühren, dafür, das macht der Tanz ja möglich, darf getanzt werden, in schönsten, auch erotischen Berührungsfantasien.

Nach knapp 30 Minuten wird doch zu Prokofjews Musik getanzt. Olga García als Peter öffnet die Tore und Käfige für ihre Tiere, die sie im Kopf hat, Lucas Axel als Katze, Andy Fernández als Ente, Sofie Vervaecke als Vögelchen. Mitunter sind Peter, oder eigentlich besser Petra, denn hier tanzt ja eine Frau, kaum von den kopfgeborenen Tierwesen zu unterscheiden. Auch den von Oscar Alonso getanzten Großvater entlässt sie aus ihrem dem Kopfgefängnis. Ob auch die satanischen Fabelwesen aus ihrem Kopfzwinger oder aus dem des gerade mal nicht redenden Mannes stammen, ist nicht immer auszumachen, was aber letztlich auch gar nichts ausmacht, denn Angst kennt keine Grenzen.

Da ist sie wieder, die Angst vor dem Wolf, vor der Idee des Wolfes. Und schon klärt der Schauspieler wieder auf: Freidenker, Angstdenker, Wolfsdenker... weil nun auch in den tänzerischen Gruppenbildern der mehr oder weniger schattenhaft agierenden Kompanie sich immer wieder Gefahren verbreitende Gebilde formieren, erscheint hier so etwas wie ein bildhafter, konzeptioneller Wolf. Die Assoziationen dazu als bewegte, massige Kulissenversatzstücke, die zum einmauernden Gefängnis werden können, zu gemahnenden Bildsequenzen wie Schützengräben, wenn die agierenden Tänzer*innen in möglicher Anspielung auf derzeitige Maskenpflichten sogar Gasmasken tragen, und natürlich zu Grabplatten, die sich aufschichten, unter denen die Wolfsopfer begraben sein müssten.

Nach einer knappen Stunde, in kraftvollem Finale, brechen die Nürnberger Tanzarbeiterinnen und -arbeiter massiv auf in ein neues Leben. Und weil ja kein Publikum im leeren Opernhaus sein kann, schenken sie sich selbst den so erlösenden wie anerkennenden, vor allem endlich so wunderbar authentischen Beifall. Na bitte, möchte man sagen, Tanzen hilft. Gegen Wölfe und Worte, vor allem wenn es zu viele sind.

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