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Stuttgart
EIN ERMÖGLICHER
Ein Nachruf auf Rainer Woihsyk
Er war nicht irgendwer. „Im Namen aller ChoreographInnen, die er so tatkräftig als KünstlerInnen und Menschen unterstützt hat“ gedenken denn auch Márcia Haydée, Reid Anderson, Tamas Detrich und Sonia Santiago Rainer Woihsyk in einer Traueranzeige, die allerdings erst vier Wochen nach seinem Tod in den Stuttgarter Zeitungen erschienen ist.
Rainer Woihsyk-Höver, wie zuletzt sein voller Name hieß, war sozusagen der gute Geist vor und manchmal auch hinter den Kulissen des Stuttgarter Balletts. Wann Not am Mann war, wann immer es irgendwo hinter dem Vorhang klemmte oder an der Kasse keine Karte lag: Er war zur Stelle: ein Ermöglicher, wie man sich ihn in jedem Theater wünscht. Sein „Mein Lieber“, wie er mich immer begrüßte, wird mir nicht aus dem Ohr gehen. Gut gelaunt, immer freundlich, ja nachsichtig im Umgang mit jedermann, konnte er manchmal im Handumdrehen ein Problem aus dem Weg räumen – und wenn es mal etwas länger dauerte, trat er eben vor den Vorhang, um auf seine Art das Publikum zu besänftigen.
Am 20. August 1942 in Breslau geboren und als Flüchtlingskind in Stuttgart aufgewachsen, war Woihsyk eigentlich von Berufs wegen Schaufensterdekorateur. Aber nach dem Abi sattelte er um. Doch selbst als studierter Werbegrafiker, der am Erscheinungsbild von Ritter Sport großen Anteil hatte, ließ sich seine Theaterleidenschaft nicht unterdrücken. Nächtelang schlief er vor den Türen des Großen Hauses, um als einer der ersten an die begehrten Opern- oder Ballettkarten zu gelangen. Mag sein, dass er bei der Gelegenheit einmal Fritz Höver begegnet ist, der 1958 zusammen mit Freunden die Noverre-Gesellschaft ins Leben gerufen hat. Seit Ewigkeiten waren die beiden jedenfalls ein Paar, und gemeinsam haben sie sich der aufopferungsvollen Aufgabe gewidmet, junge Choreografen nicht einfach zu entdecken, sondern gezielt zu fördern.
Als Nachfolger von Ulf Esser übernahm Rainer Woihsyk 1981 beim Stuttgarter Ballett das Amt des Pressesprechers, ein Amt, das er bis 1996 bekleidete, zuständig nicht nur für die Informationspolitik des Ensembles, sondern verantwortlich auch für die Gestaltung der Programmhefte, bei denen der einstige Werbegrafiker wieder voll zum Zuge kam. Kommunikationstalent, das er war, betreute er später das Merchandising und die Sonderveranstaltungen der Kompanie – solange jedenfalls, bis die fortschreitende Erkrankung von Fritz Höver seine ganze Aufmerksamkeit, Liebe und Pflege erforderte.
Schon vorher, 2004, hatte Woihsyk die Leitung der Stuttgarter Noverre-Gesellschaft übernommen und Choreograf*innen wie Katarzyna Kozielska, Louis Stiens und vor allem Demis Volpi gefördert. 2015 starb Fritz Höver. Als sich drei Jahre später für Woihsyk nicht wirklich eine Nachfolgelösung fand, löste sich die Noverre-Gesellschaft auf: ein weiterer Schicksalsschlag, von dem sich der ohnehin schon schwer Angeschlagene nicht mehr erholte. 2018 gab ihn seine Schwester in Freiburg in die Obhut eines Pflegeheims. Dort ist Rainer Woihsyk-Höver am 25. November an den Folgen einer Gehirnblutung gestorben.
Sobald es wieder möglich ist, soll seine Asche im Grab seines Mannes beigesetzt werden. Eine Gedenkfeier wird vorbereitet.
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