„In Feldern“ von Stephan Herwig

„In Feldern“ von Stephan Herwig

Atmende Atmosphären

„In Feldern“ von Stephan Herwig im schwere reiter München

In seiner neuen Tanzperformance kreiert Stephan Herwig durch das Zusammenspiel von Bühne, Licht, Musik und Bewegung verschiedene sich ergänzende und kontrastierende Atmosphärenfelder.

München, 02/11/2020

Es ist zugleich konkret und unkonkret. Es wirft keine klare Assoziation hervor und vermittelt trotzdem das Gefühl, an etwas zu erinnern, etwas, das man nicht greifen kann. Das in der Ankündigung von Stephan Herwigs neuer Tanzperformance „In Feldern“ beschriebene „Objekt“ sind zwei metergroße rechteckige Netzflächen, die an der Decke befestigt knapp über dem Boden des schwere reiter München schweben. Durch den Winkel der Aufspannung entsteht mit der Beleuchtung auf der Netzfläche ein Oval in diversen Blautönen. Das Objekt hängt in der Mitte des Bühnenraumes und teilt das Publikum, das auf beiden Seiten platziert ist, wie auf einem Sportplatz in zwei Hälften. Der Blick wird durch das Objekt dominiert und durch die mit Schnüren bespannten Flächen auf eine gewisse Art verzerrt. Es ist die optische Grundlage für die Wahrnehmung des Raumes. Das Zusammenspiel von Bühne, Licht, Musik und Bewegung kreiert verschiedene Atmosphärenfelder, teils im Einklang miteinander, oft aber auch im starken Kontrast.

Durchgängig scheint das Licht in dämmrigen Tönen zu atmen, wird langsam leicht heller und wieder dunkler und lässt stets an eine abendliche Stimmung erinnern. Auch die Musik oder eher der Klangteppich scheint einem inneren organischen Rhythmus zu unterliegen. Leisere Töne, irgendwo zwischen Grillenzirpen und elektronischen Störgeräuschen, aber nie eindeutig zuzuordnen, wechseln sich ab mit einem dumpf wummernden Elektro-Sound und kulminieren immer wieder zu einem stark rhythmischen Industrie-Bass. In feiner Abstimmung changieren Licht und Sound zwischen immenser Anspannung und kompletter Entspannung.

Zu Beginn der Performance tritt ein Tänzer alleine auf und legt sich zunächst für einige Minuten unter das schwebende Objekt. Nur langsam beginnt er, in die Bewegung zu finden, hebt knieend immer wieder einen Arm, abgehakt, mechanisch. In einem repetitiven Gestus findet er allmählich in größere und fließende Bewegungen, häufig um sich selbst drehend. Nacheinander kommen die anderen drei Tänzer*innen hinzu und finden in ähnliche Bewegungsmuster. Die Arme wirken stets wie ein innerer Motor, als Magnet, der den Rest des Körpers fließend hinter sich herzieht.

Die Tänzer*innen sind im Großteil der Momente in sich gekehrt, gleichzeitig aber wach und konzentriert bei sich oder auf etwas fixiert, das sich nicht physisch im Raum befindet. Immer wieder wiederholen sie die für den Abend symptomatischen fließenden Drehungen um sich selbst und das verdrehte Ausstrecken der Arme zur Seite, mal in höherer Intensität, mal ganz zurückgenommen.

Die Performance kreiert damit auf den verschiedenen Wahrnehmungsebenen sehr schöne optische und akustische Bilder, setzt sich gleichzeitig aber wenig von ihrer flächenhaften Natur ab. Die knapp 60 Minuten lassen so manchmal eine Richtung oder Entwicklung vermissen, in die die Performance gehen könnte: Man wartet auf die Fortführung des Spiels mit körperlicher Nähe und Berührung, das zu einem Zeitpunkt, in der die Performer*innen ihre Köpfe kurz auf die Körper der anderen legen, angestoßen wird - oder genau auch auf die Abstinenz davon.

So muss sich der Abend gegen Ende erst ein wenig aus einem energetischen Loch holen, was dann gut gelingt, wenn die Tänzer*innen in sich steigernder Geschwindigkeit zu einem kulminierenden Bass um den „Raumtrenner“ herumrennen und immer wieder in ihre Drehungen verfallen, bis schließlich dieser Ausbruch langsam wieder verebbt und das Zusammenspiel von Bewegung, Bühne, Licht und Musik ein letztes Mal ausatmen lässt.
 

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