KRITIKEN 2020/2021
Regensburg
EIN BEBENDER KÖRPER RINGT UM FASSUNG
Musik-Tanz-Video-Projekt in der Herz-Jesu-Kirche Regensburg
Seufz. Am Schluss war man hin- und hergerissen. Es war einerseits eine Freude, mit dem musikalischen Inhalt korrespondierend fast eine Erlösung, Beethovens einziges Oratorium „Christus am Ölberge“ als Chor-Tanz-Videoprojekt in der Regensburger Herz-Jesu-Kirche zu erleben. Andererseits hat man sich während der rund einstündigen Aufführung ständig gewünscht mehr von dem wunderbaren Tänzer zu sehen und mitzubekommen.
Natürlich ist alles ganz anders als geplant gekommen. Es sollten zwei Tanzende sein, neben Abraham Iglesias Rodriguez vom Theater Pforzheim die Tänzerin Soraya Leila Emery. Die musste coronabedingt absagen, weil eine mehrtägige Quarantänepflicht ihre sonstigen Verpflichtungen zerbröselt hätte. Aber auch das tänzerisch-visuelle Konzept und die Choreografie von Alexandra Karabelas musste völlig überarbeitet und den Notwendigkeiten des Musizierens unter Pandemiebedingungen angepasst werden. Statt den Raum im Mittelgang nutzen zu können, musste sich Rodriguez auf die leicht erhöhte Apsis und den Altarraum konzentrieren, der von den weit auseinander sitzenden Orchestermusiker*innen teilweise verdeckt wurde. Bewegte er sich, wie beim zweiten Rezitativ, viel auf dem Boden, war gar nichts mehr zu sehen.
Immerhin war der mit einem roten Shirt bekleidete Tänzer nach der orchestralen Einführung im ersten Teil, als Christus (Juan Carlos Falcon/Tenor) seine flehende Bitte an den Vater singt, zu sehen. Dabei ist er der menschlichen Begrenzung und Beschränkung ausgesetzt, die durch ein Bündel Seile symbolisiert ist, welches er trotz verbissener und mühsamer Anstrengungen nicht zerreißen kann. Im letzten Teil dann, zum dramatischen Chor der Krieger und Jünger, kann er sich – gekleidet in einen weißen, fließenden Anzug – endlich aus den Verschlingungen und Verknotungen befreien.
Dazwischen durchlebte der Tanzende mit teils langsamen, minimalistischen Bewegungsabläufen vorwiegend der Arme, Hände und um den Oberkörper, teils mit raumgreifenden Gesten und Sprüngen quer durch die Apsis die inneren Qualen und Leiden des Gottessohnes, der mit dem Tod vor Augen um Fassung ringt. Die Sänger und Sängerinnen der Regensburger Chorphilharmonie waren in den Seitenschiffen der Kirche platziert. Von dort hatten sie ihren Dirigenten Horst Frohn noch im Blick, der zum reduzierten Orchester gewendet, Schwerstarbeit bei der Zusammenführung von Chor, Sänger*innen und Musiker*innengruppen zu leisten hatte.
Als weiterer visueller Aspekt wurden parallel zu Musik und Tanz Videos (Philipp Contag-Lada, Michael Maurissens) mit stürmischem Meer und Tanzproben der beiden ursprünglich vorgesehenen Tänzer (im Video: Soraya Leila Emery) auf die Wand zur Apsis projiziert. Zudem lief die Projektion weit oben an der Wand, sodass die Videos mehr ablenkten, als sich einzumischen oder zu ergänzen. Hier hätte man den Mut aufbringen müssen, die Projektion in das Geschehen einzubeziehen und über die handelnden Personen laufen zu lassen oder ganz darauf zu verzichten. Rodriguez beeindruckte sowohl mit seiner Ausdruckskraft, soweit er zu sehen war, als auch physisch mit seinem bebenden, halbnackten Körper. Dieser korrespondierte auf eindrückliche Weise mit dem wandhohen Gekreuzigten, der die gelb gestrichene Wand hinter dem Altar füllte. Musikalisch ein bewegender und auch gesanglich überzeugender Abend, der in Verbindung mit Tanz nur einen geringen Teil der Energie und Leidenschaft entfalten konnte, die zweifellos in diesem konzeptionellen Ansatz stecken.
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