Ludmilla Naranda und Ivan Sertić
Ludmilla Naranda und Ivan Sertić

So stirbt eine Primaballerina

Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda

Die langjährige führende Solistin des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz ist am vergangenen Freitag den Folgen eines Schlaganfalls erlegen.

München, 11/10/2020

Die langjährige führende Solistin des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz ist am vergangenen Freitag den Folgen eines Schlaganfalls erlegen, den sie Ende August beim Einkaufen auf dem Münchner Viktualienmarkt erlitten hat. Ludmilla Naranda, die 1936 in der kroatischen Hauptstadt Zagreb geboren wurde, aber den Großteil ihres Lebens und ihre gesamte, jahrzehntelange Bühnenkarriere in Deutschland verbrachte, war ein leuchtendes Beispiel künstlerischer Tugenden wie absoluter Verlässlichkeit, ohne Rücksicht auf sich selbst, und dem Mut, etwas Gutem zu dienen, das größer ist als das eigene Ego. „Ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals krank wurde und eine Vorstellung absagte“, hatte ihr ihr ehemaliger Ballettchef Günter Pick zum 80. Geburtstag zurecht nachgerühmt. Mit dessen Vorgänger am Gärtnerplatz Ivan Sertić – ihrem choreografierenden Ehemann und Lebensmenschen – war sie nach Stationen in Frankfurt, Heidelberg, Lübeck und Wuppertal 1973 nach München gekommen.

Als sie sich mit über 40 von den Titelrollen verabschieden musste, reüssierte sie am Gärtnerplatz noch jahrelang in Charakterpartien und als Ballettmeisterin. Von ihrer urkomischen Stiefschwester in „Cinderella“ an der Seite von Uschi Heimerer – Ludmilla groß und schlank, ihre Partnerin eher klein und rund – schwärmen noch heute alle, die das Glück hatten, diese Produktion in den Siebziger Jahren mitzuerleben. Es stellt eine seltene Ausnahme im Tänzerberuf dar, dass Ludmilla Naranda – nach 15 Jahren am Haus zwar unkündbar geworden –, dennoch bis zur Verrentung auf der Bühne stehen konnte.

Mit ihrer ruhigen Ernsthaftigkeit gepaart mit einem stillen, sich im Privaten immer wieder bahnbrechenden, geradezu verschmitzten Humor und viel Neugierde begegnete sie allem Zeitgenössischen in der Kunst – insbesondere bei Ballett und Tanz. Das Staunen hatte sie – trotz selbst ungemein Vielerlebtem und -erfahrenem – nie verloren. Neidlos bewunderte sie die heutigen Tänzerinnen und Tänzer für ihre früher für unvorstellbar gehaltenen technischen Fähigkeiten und stimmte darin ein in das Statement der drei Jahre jüngeren Kollegin Konstanze Vernon (†2013): „Heute muss jeder Gruppentänzer an einem kleinen Theater das können, was zu unserer Zeit nur die Stars draufhatten.“ Vor allem von der ungeheuren Entwicklung bei den männlichen Tänzern sprach Ludmilla Naranda stets mit größter Bewunderung und Respekt. Und das, obwohl sie mit dem Ersten Solisten Erich Zschach – in Wuppertal und später in München – selbst einen herausragenden Partner an ihrer Seite haben durfte.

Zum 150. Jubiläum des Gärtnerplatztheaters 2015 steuerte sie zur Videoinstallation im Deutschen Theatermuseum einen „Spruch des Tages“ bei, der im Internet noch immer zu sehen und zu hören ist: „Ich dachte, nach dem Tanzen gibt es kein Leben mehr. Aber es gibt ein Leben – auch nach dem Tanzen und nach dem Theater.“ Mit steter Herzlichkeit hat Ludmilla Naranda es vorbildlich gelebt! Nun, da das gesamte Theatergenre in der Pandemie um sein Leben ringt, ist sie ihrem erst im Mai 93-jährig verstorbenen Ivan früher gefolgt als gedacht. So stirbt eine Primaballerina. So stirbt ein Mensch.

 

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