„She Legend“ von Rykena/Jüngst

„She Legend“ von Rykena/Jüngst

Behutsame Wiederaufnahme

Bildgewalt in bizarr-abstrahierter Form

Carolin Jüngst & Lisa Rykena mit „SHE LEGEND“ im Münchner Theater HochX.

München, 27/07/2020

Bildgewalt in bizarr-abstrahierter Form. Komplett unwirklich. Vor allem das wird vom Hamburger Choreografinnen-Duo Rykena/Jüngst in „She Legend“ geboten. Die Uraufführung am Ende des letzten Jahres auf Kampnagel in Hamburg fand noch vor Corona statt. Für die Erarbeitung der aktuellen Neuauflage bezog das originelle Damenteam schon vor zweieinhalb Wochen gemeinsam eine Wohnung in München. Auf den Auftritt eines 10- bis 15-köpfigen Chores mussten die beiden diesmal verzichten. Daher stimmen sie nun – aufs heftigste herzschmerzerrissen – mit ihren eigenen Stimmen das „Agnus Dei“ an.

So – und aufgrund der Kleinräumigkeit im Münchner Kleintheater HochX – gewinnt ihre Performance an physischer Intimität. Es herrscht futuristische Leere: Lediglich ein weißes Tanzbodenquadrat, dazu eine Art überdimensionale Kleenex-Box, in der sich ein Trampolin verbirgt, und der markante trianguläre, auffächerbare Deckenhänger, den Ausstatterin Lea Kissing beigesteuert hat, bereichern den schlichten Bühnenlook. Mehr brauchen Carolin Jüngst und Lisa Rykena für ihre feministisch aufgeladene Erkundung unkaputtbarer Stereotypen und Rollenmuster im stark lautmalerischen, effektgeschwängerten Sprachmodus von Comic-Welten nicht.

„Splash!, Smash!, Heul!, Booom!, Zack!, Peng!, Zisch!“. Fette Ausrufungszeichen ergänzt man gedanklich auch ganz automatisch nach jeder Geste und jedem durch die Luft schießenden Kick eines Arms oder Beins. Mit schmatzenden Geräuschen klauben die zwei Rivalinnen, bäuchlings am Boden klebend, ihre eigenen Bodies wieder auf. Als sie sich gegenseitig die pochenden Herzen herausreißen, entfährt ihren Mündern ein scharfes Zischen. Dennoch bringen die beiden selbstdefinierten Amazonen großartige Subtilität in ihre Untersuchung, wie es sich mit Superkräften umgehen lässt

Wonder Woman gibt es hier im Doppelpack und dank aufgeblähter Anorak-Blazer muckimäßig aufgepumpt wie das Michelin Männchen. Kernzone ihrer kampflustig-komplizenhaft austarierten Interpretation: eine jeweils aufeinander abgestimmte, völlig unterschiedliche, dabei stets überzogen-expressive Gesichtsmimik. Daran kann man sich als Zuschauer*in festsaugen, auch wenn über weite Strecken klare inhaltliche Aussagen – leider – ausbleiben.

Ein weiteres Auffangnetz für die zwei gestaltwandlerisch sowohl gute wie böse Eigenschaften im fließenden Wechsel verkörpernde (Anti)Superheldinnen stellt das akustische Zuspielprogramm von Konstantin Bessonov dar, von dem einzelne Szenen definitiv dominiert werden. Gleichzeitig können sich Rykena als Hypergrazil-Aggressive und Jüngst – bewaffnet mit einem imposanten Haarpropellerzopf – tänzerisch in diesen Passagen als Vollprofis beweisen. Emotional aufgepeitscht und in durchstrukturierten Schrittvarianten fortgetragen von Aram Chatschaturjans „Säbeltanz“, auf den Boden gestürzt durch die Sturmmusik aus Verdis Oper „Otello“ oder zu Größenwahn angestachelt von dumpfen, synthetisch-apokalyptischen Klangschlägen.

Gastspiele wie dieses sind „neuerdings“ etwas sehr Rares. Sie brauchen unbedingt Zuspruch, auch wenn Hybridwesen momentan über einige Bühnen geistern. Doch die Problembewältigung packen Rykena/Jüngst ohne sichtbaren Plan oder stringente Dringlichkeit rein situativ an. Schade. Gerade jetzt verträgt jedes Heraufbeschwören von Endzeitstimmung mehr Schärfe im Detail.
 

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