Künstler nicht nur auf der Bühne

Caspar Hummel ist gestorben

„Ein unersetzliches, wundervolles Wesen, immer leicht daneben und doch die Tiefe der Dinge ganz ergründend.“

Paris, 08/06/2020

Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, es gäbe keine „normalen“ Künstler mehr. Jeder wird gleich zum Star promoviert, zum Superstar, wenn nicht sogar zum Megastar. Und wenn das Etikett nicht mehr werbemäßig weiterhilft, wird einer missverständlich zum Ausnahmekünstler erklärt, als ob das Künstlerische ausgenommen wäre.

Caspar Hummel war ein Künstler, und das nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben. In Basel geboren und dort eigentlich als Architekt ausgebildet, stößt er hinterrücks zum Tanz, das aber dann richtig. John Cranko engagiert ihn 1968 ans Stuttgarter Ballett, und obwohl seine Rollen namenlos bleiben, prägt sich der Blondgelockte mit seinen strahlend blauen Augen nachhaltig dem Publikum ein: als ein ungekünstelter Künstler, der immer etwas Kindliches ausstrahlt, etwas Reines, Unschuldiges, Natürliches. Als Cranko in München zusätzlich die Leitung des Balletts der Bayerischen Staatsoper übernimmt, begleitet ihn Hummel: ein Vertrauter in der Fremde, ein Gesprächspartner in der „Deutschen Eiche“, dem legendären Münchner Künstlertreff.

Obwohl er John Neumeier erst nach Frankfurt, dann nach Hamburg folgt, bleibt Cranko sein „großes Vorbild“. Er bewundert dessen Fähigkeit, große Ballette so unterhaltsam wie ein Musical zu choreografieren. Wahrscheinlich liebt und lebt er deshalb auch in Neumeiers „Sommernachtstraum“ gerade jenen Handwerker so, der des Nachts den Mond vorstellt: eine Lachnummer, die nichts Lautes hat. Immer bringt Hummel das Kunststück fertig, scheinbar Derbes ganz fein erscheinen zu lassen. Möglicherweise besetzt ihn Neumeier auch deshalb in seiner „Matthäus-Passion“. Seite an Seite mit den beiden Christus-Darstellern Max Midinet oder John Neumeier, leiht Caspar Hummel darin dem Wort Gottes engelhafte Gestalt.

1981 beendet Hummel seine Tänzerkarriere und geht an die internationale Theaterschule des Pantomimen Jacques Lecoq nach Paris. „Ich wollte mich vom klassischen Tanz befreien“, wie er später einmal sagt. 1985 arbeitet er mit der argentinischen Choreografin Graziella Martinez im Théâtre de la Bastille und lernt bei dieser Gelegenheit Serge Noyelle und Marion Coutris kennen. Beide bieten in Châtillon eine Heimstatt an, und dort wird er Teil eines Ensembles, das zwischen Tanz, Theater, Varieté und Cirque Nouveau neue Ausdrucksmöglichkeiten sucht. In „Entremets - Entremots“ kredenzte er seine Kunst als Kellner. Im „Cirque No No“ spielte er einen bärtigen Alten, dessen Lebensgeister angesichts eines jungen Mädchens wieder erwachen. Im roten Kleidchen wagt Caspar Hummel ein letztes Tänzchen, anrührend und absurd zugleich.

„Ein unersetzliches, wundervolles Wesen“, erinnert sich Marion Coutris im Newsletter des Théâtre des Calanques, „immer leicht daneben und doch die Tiefe der Dinge ganz ergründend.“ Seinen ersten Auftritt nach der Corona-Krise hat Caspar Hummel kaum erwarten können. Freunde telefonierten mit ihm offenbar noch am 7. Mai. Eine Woche später fand man ihn tot in seiner Wohnung in der Passage du désir. Er, der so viel auf Freundschaft hielt, starb einsam; ein Herzinfarkt. Wie schrieb Marion Coutris so schön in ihrem Nachruf? „Sein blaues Auge leuchtet weiter und erhellt unsere verwaisten Seelen.“

 

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