Junge Choreographen

Ballett und Wildnis

München, 07/07/2004

Trotz all der regulären Vorstellungen und ihren in diesem Jahr besonders zahlreichen Tourneen hatten neun Tänzerinnen und Tänzer des Bayerischen Staatsballetts für die Reihe „Junge Choreographen“, die seit 2001 unter Ivan Liska wieder aufgelebt ist, ihre Teilnahme gemeldet. Die Einstudierung der sehr verschiedenen Einfälle fand im Wesentlichen in den freien Tagen statt, die die Kompanie nach ihrer Rückkehr aus Athen und aus Aspendos/Türkei hatte. Es fanden drei Aufführungen im Akademietheater des Prinzregententheaters statt, eine mehr als früher – wegen des Erfolgs in den vorigen Jahren.

Marlon Dino, der den wahrlich bunten Reigen mit „Nimms wie du willst“ zu Musik des Kronos Quartetts eröffnete, schuf spannungsvoll getragenen Tanz. Dabei ließ er seine drei Tänzerinnen und zwei Tänzer immer den Impuls der Musik abwarten, ehe sie Bewegungen begannen, die sich durch den ganzen Körper fortsetzten. Auch in den schnellen Sequenzen war dies sehr musikalisch, doch hielt die Kraft der Aussage nicht mit. – Titelgebend für das zweite Stück war die Prophezeiung der Cree-Indianer „Erst wenn der letzte Baum...“, womit Marc Geifes ein Quartett von Arbeiten eröffnete, die sich mit dem Projekt „Ballett und Wildnis“ auseinandersetzten – waren doch einige Tänzer im Verlauf des letzten Jahres von der Leitung des Naturparks Bayerischer Wald zu Exkursionen eingeladen worden. Zuzana Zahradniková verdeutlichte, als Krone auf einem aufrechten Baumstumpf sitzend, das feine Schwanken der Äste und Blätter im Wind. Als harte elektronische Musik das Vogelzwitschern übertönte, führte eine Straße auf den Baum zu. Sein Fällen fiel auf den Arbeiter (Vincent Loermans) zurück, und das Stück fand – dank seiner Ernsthaftigkeit, der schönen Bühneneinfälle und der Musik von Daniel Ployer und Elliott Goldenthal – ein poetisches Ende: Die Straße wurde zum Leichentuch, das Grün wuchs neu.

In „Maira und Alen“ machte Valentina Divina zu zwei Sätzen aus Góreckis „Three Olden Pieces“ die Vornamen ihrer Tänzer Maira Fontes und Alen Bottaini zum Titel. Die Vorführung klassischer Exercises im weißen Tutu, die Bottaini mit Pirouetten fortsetzte, endete im Dunkel. Dann lagen im linken und rechten von drei dämmrigen Beleuchtungsfeldern die Spitzenschuhe und das Tutu, im mittleren die beiden Tänzer, jetzt ganz natürlich als Mann und Frau. Mit einem schön inszenierten Pas de deux stellte Valentina Divina tänzerisch die Frage nach dem Verhältnis von der Ästhetik des von seiner künstlichen Technik geprägten Balletts zu Natur bzw. Natürlichkeit.

Ganz anders sah diese Umsetzung in Bruce McCormicks „Elemente“ aus. Bei den Bewegungen seines ersten Duetts (mit Olivier Vercoutère und Maria Phegan) merkte man sofort, dass sie sich dem Erleben der Luft verdanken. Natürlich wurde das durch die thematisch inspirierte, formsichere Auftragskomposition von Herwig Wagner und die dezente Klarheit der Kostüme von Tomek Sadurski unterstützt. Aber McCormick bewies auch, dass er seine Tanzsprache immer wieder zu erweitern weiß. So zeigten Fiona Evans und Wlademir Faccioni in einem von Fließen und Wellen geprägten Pas de deux, wie Wasserfluten und -tropfen miteinander kommunizieren. Cheryl Wimperis verdeutlichte, rhythmisiert vom Funkenflug bis zum wiederholten Auffahren Eigenschaften des Feuers, bis ein akustischer Wasserstrahl die schöne rote Flamme verblassen ließ. Auf die gleichmäßig lastenden Bewegungen eines erdfarben gekleideten Quartetts folgte nochmals der Luft-Tänzer Vercoutère und unterstrich damit die unterschiedlichen Bewegungsimpulse, die McCormick seinen vier Elementen zugrunde legte.

Den zweiten Teil eröffnete die junge, bildschöne Chinesin Siting Qiu mit „Cafe 1930“ zu Astor Piazollas „Fugata“ auf Spitze. Mondän und elegant integrierte sie an der Seite ihres Partners Alexis Forabosco mit virtuos hohen Beinen überraschend klassische Elemente in ihre Tango-Inszenierung. Anschließend zeigte Pavla Mikolavcic mit „The only thing we have to do is think positive“ zur Musik von Zap Mama ein Stück. Was diesen frauenbewegten Harem mit dem angekündigten Bezug auf „Ballett und Wildnis“ verband, erschloss sich nicht, aber das Stück gefiel dank seiner Leichtigkeit und seines Witzes. Mit „Short Cuts“ bewies Cheryl Wimperis ihren Formwillen in einem Techno-Quartett, dessen Moves die Einflüsse von Forsythe und Teshigawara verrieten, ehe Wlademir Faccioni mit „Vivace“ zu Vivaldis „Jahreszeiten“ im Stil von Kyliáns „Sechs Tänze“ eine ganze Reihe von Balletten persiflierte und temporeich einen Abend beendete, in dem alle Tänzer mit einer sympathischen Idee hervortraten, die sie ohne zeitliches Ausufern stimmig umsetzten. Schade, dass wir sie nicht alle wiedersehen werden: Cheryl Wimperis, die die Moderne liebt, geht zu einer modernen Truppe, der sympathische Marc Geifes, phänomenale Thisbe des „Sommernachtstraums“, hört auf, und Bruce McCormick, von allen Tänzern als Choreograph am weitesten, wechselt ebenfalls in eine moderne Kompanie.


Premiere am 02.07.2004, besprochene Aufführung am 03.07.2004

Kommentare

Noch keine Beiträge