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München
HOCH OBEN
"Der Baron auf den Bäumen" an der Schauburg München
Weglassen ist eine Eigenschaft, die Choreograf Erik Kaiel gut beherrscht. Seit 25 Jahren erarbeitet er mit Vorliebe Projekte für die Straße. Doch nicht immer tanzen seine Protagonist*innen durch U-Bahnstationen oder leere Bäder. In „Nothing Twice“ – 2018 seine erste Auftragsarbeit für die Münchner Schauburg – holt er den öffentlichen Ort ins Theater. Hip-Hop-Tänzer und Graffiti-Sprayer treten in einem Mix aus Text und Moves gegeneinander an. Es geht um Grenzen, die Vereinnahmung und das sich Teilen von Raum (Wiederaufnahme am 24.05.2020).
Nun aber hat der gebürtige Innsbrucker, der lange in New York tätig war und seit 2003 in den Niederlanden lebt, für die kleine Burg ein von Schulen auch mobil zu buchendes Tanzstück kreiert. Mit zwei Schauspieler*innen, die erst seit Saisonbeginn zum Schauburg-Ensemble gehören und es sehr überzeugend schaffen, ganz ohne Worte 45 Minuten lang von einer Begegnung und verschiedenen Phasen einer Beziehung zu erzählen. Die Inspiration, passend zum aktuellen Spielzeitthema „Macht“, fand Erik Kaiel in Italo Calvinos Roman „Der Baron auf Bäumen“. Darin beschließt der 12-jährige Adelsspross Cosimo, den nach einem Streit erkletterten Baum nicht mehr zu verlassen. Folglich spielt sich alles Weitere in seinem Leben hoch oben im Blätterdach ab. Inhaltlich ein kurioser Aspekt, der jedoch kaum choreografisch, dafür in den Kostümen von Florian Buder herausgestellt wird.
Zentraler Aufhänger des komplett durchchoreografierten und zugleich interaktiv funktionierenden Duetts ist eine subtile Gratwanderung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Dazu kommt die rein körperliche Bewerkstelligung, das Publikum an der Energie und Elektrizität einer sich langsam entwickelnden und gelegentlich in Disharmonie kippenden Romanze teilhaben zu lassen. Es funkt zwischen den beiden Performer*innen Lucia Schierenbeck und Michael Schröder. Beide haben sich unbemerkt unter die Zuschauer*innen gemogelt. Plötzlich vibrieren und oszillieren ihre Körper, stoßen sich inmitten der herumstehenden Besucher*innen von den Wänden ab. Er hier, sie dort. In mehrmalig wiederholten Bewegungsabfolgen demonstrieren sie ihre Interessen. Er liest viel und scheut vor Selfies mit Zuschauer*innen nicht zurück. Sie liebt Kochen, Essen, Reiten.
Zu Seelenverwandten – wie ihre literarischen Vorbilder Cosimo und Viola – werden Schierenbeck und Schröder, als sie am Rand verknotete Kugeln aus Samt entdecken. Schätze, auf die sie Hunden gleich zustürmen. Tiere, die sie behutsam in ihrer Armbeuge kosen. Emotionales Verstehen wird hier großgeschrieben. „Der Baron auf Bäumen“ ist ein Stück, das heruntergebrochen auf starke Bindungen zum aktiven Mitgehen einlädt.
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