„Rauschen“ von Sasha Waltz & Guests

„Rauschen“ von Sasha Waltz & Guests

Entfremdung in Schwarz-Weiß

Sasha Waltz & Guests mit „Rauschen“ in der Hamburger Kampnagelfabrik

Der Berliner Choreografin gelingen viele spannende und exzellent getanzte Schwarz-Weiß-Tableaus, insgesamt jedoch wirkt das Stück über große Strecken bemüht und zusammenhanglos.

Hamburg, 02/02/2020

Wenn es darum geht, den binären Zahlencode optisch umzusetzen, bleibt nur eines: Schwarz-Weiß. Der kühle Kontrast, der Verlust jeglicher Zwischentöne steht sinnbildlich für die entseelte Welt der Maschinen und einer computerisierten Welt. Dass Sasha Waltz für ihre neue Kreation (die Uraufführung war am 7. März 2019 in der Berliner Volksbühne) den Titel „Rauschen“ gewählt hat, erscheint vor diesem Hintergrund schwer verständlich, verbinden sich damit doch eher nicht näher definierbare Zwischentöne – ob optisch oder akustisch. Und gerade sie fehlen in diesem Stück.

Sasha Waltz nimmt sich darin der zunehmenden Dominanz einer gefühlskalten technisierten Welt an. Der erste Teil des 90-minütigen Abends gelingt ihr dabei deutlich eindrücklicher als der zweite. Da zucken und zittern sich zwölf Tänzer*innen (vier Frauen, acht Männer – wobei die Zusammensetzung offenbar wechselt, denn in der Ursprungsfassung waren es gleich viele Frauen wie Männer) wie fremdgesteuert über den komplett weiß gehaltenen, mit einer riesigen halbrunden Wand nach hinten abgegrenzten und nur rechts und links schwarz abgehängten Bühnenraum wie im Zentrum eines großen Brennspiegels. Sie zeigen uns die Mühsal unserer Zeit: Entfremdung, Unruhe, Getriebenheit, Kontaktlosigkeit, Einsamkeit, Sinnentleertheit, Isolation, Kälte. Abgehackt sind die Bewegungen, mechanisch, uniform. Dass die Tänzer*innen über Microports mit Text untermauern, was ihre Körper erzählen, erscheint hier allerdings ebenso überflüssig wie störend, zumal man die Sätze ohnehin kaum versteht.

Das gesamte Bewegungsvokabular erschöpft sich mit der Zeit ebenso wie die stereotype Wiederholung der schwarz-weißen Eintönigkeit ermüdet. Was anfangs gerade in seiner Abstraktion eine eigenartige Faszination entwickelt, wirkt mit der Zeit nur noch langweilig und zusammenhanglos. Daran ändert auch die Raffinesse der weißen halbrunden Wand nichts, die sich als Trugspiegel entpuppt für das Bemühen, die Einheitswelt zu gestalten: darauf gesprühte Worte wie „ALIVE“, „NOW“ und „GODS“, die anfangs schwarz erscheinen, verblassen und verschwinden binnen kurzer Zeit.

Da wirkt das Intermezzo, das den ersten Teil vom zweiten trennt, fast schon erlösend, käme es nur nicht so platt daher: Einige Tänzer*innen stellen sich in dünnen Papierkleidern vor das große weiße Halbrund und werden aus Schläuchen nass gespritzt. Die Kleider lösen sich auf – die Tänzer*innen stehen nackt und bloß, während die anderen mit Gummischürzen und -stiefeln den Hintergrund über ihre Schläuche schwarz einzufärben versuchen – was misslingt, weil alles schnell wieder abblasst. Erinnerungen an Pina Bausch werden wach, wenn sich einer der Tänzer unter der Plastikhülle einer Matratze verkriecht – dergleichen hat Sasha Waltz eigentlich nicht nötig.

Und so wirklich versteht man auch nicht, was Teil 2 soll, entwickelt sich darin doch nicht die Perspektive oder Vision, die sich aus der Trostlosigkeit von Teil 1 ableitet. Zwar wandelt sich die Schutzlosigkeit der Nacktheit bei den Frauen in Selbstbewusstsein, wenn sie in ihren bodenlangen schwarzen Röcken mit hoher Taille oben ohne fast wie Hohepriesterinnen tanzen – die Notwendigkeit für das „topless“ erschließt sich allerdings nicht wirklich. Auch hier gelingen Sasha Waltz viele schöne und ästhetisch eindrucksvolle Tableaus, die sich aber durch ihre Fülle gegenseitig erdrücken.

Und so erliegt dieses Stück gerade seiner eigenen Schönheit. Es erstickt in der Fülle der kontrastreichen Bilder und Assoziationen. Was umso bedauerlicher ist, als die zwölf Tänzer*innen ihren Part absolut exquisit und mit erlesener Eleganz erfüllen, David Finn eine ausgebuffte Lichtregie mit raffinierten Schattenspielen ertüftelt und Bernd Skodzig wunderbar schlichte und passende Kostüme entworfen hat. Musikalisch können die wenigen Beatles-Titel, die wie kleine Farbtupfer erscheinen in der ansonsten so eintönigen Geräuschkulisse, leider ebenso wenig Strahlkraft entwickeln wie der stimmgewaltig vorgetragene Ausschnitt aus „Fabbrica illuminata“ von Luigi Nono. Schade. Wirklich sehr schade.
 

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