„Cellokonzert“ von Martin Schläpfer

„Cellokonzert“ von Martin Schläpfer

Abschied und Aufbruch

b.41 mit Schläpfer-Uraufführung in Düsseldorf

Mit einer Prise Abschiedsschmerz hat Martin Schläpfer das Programm b.41 zum Auftakt seiner letzten Saison am Rhein gewürzt. Sie überdeckt glücklicherweise nicht die delikaten Aufbruchs-Essenzen.

Düsseldorf, 24/11/2019

Benjamin Britten kontempliert Leben und Sterben in seinem kurzen Orchesterwerk „Sinfonia da Requiem“ (mit den Sätzen Lacrimosa, Dies Irae, Requiem Aeterna). Tanztechnisch wirkt es in Jiří Kyliáns Choreografie „Forgotten Land“ von 1981 im Kontext dieses Ballettabends aber auch wie eine Hommage auf die Mutter des Modern Dance, Martha Graham - nicht zuletzt wegen der langen Glockenröcke, die die sechs Damen wie aufgepeitschte Kreisel zum Schwingen bringen, und der immer wieder wunderbaren „Ailey-Vogelschwingen“, die den Graham-Schüler unsterblich machten.

Die sechs Paare in farblich unterschiedlichen Kostümen stehen anfangs einem riesigen Himmelsgemälde im protzig-barocken goldenen Rahmen auf dem Rückprospekt zugewandt. Dramatische düstere Wolken schweben auf dunkelrotem Firmament. Später verdunkeln sich die gemalten Wolkengebirge vollends, um zwischendurch wieder rötliche Töne (Hoffnung auf Liebe?) zuzulassen. Kylián widmete dieses kurze Ballett aus zärtlichen Duetten mit vielen Umarmungen seinen Eltern.

Herzstück des Abends sind zwei charakteristische Kurzchoreografien von der Grande Dame des Modern Dance aus den 1930er Jahren, für deren Aufführung Schläpfer die Rechte erwerben konnte. Nur vier Minuten dauert das archaische Solo „Lamentation“, mit dem Martha Graham 1930 in New York den Durchbruch erreichte. Noch ganz in der Tradition so aufmüpfiger Tanzfrauen wie Mary Wigman oder Isadora Duncan, revitalisiert Camille Andriot, die vor Jahren schon in Ashtons „Five Waltzes in the Manner of Isadora Duncan“ unvergesslich tanzte, mit androgyner Stringenz die unterbewertete Stellung der Frau im lila Kokon eines werdenden Schmetterlings.

An ein ägyptisches Fries - so typisch für Grahams archaische Gruppenchoreografien - erinnert das folgende, gesellschaftlich weniger persönlich gefärbte, aber ebenso engagierte Frauenballett „Steps in the Street“ von 1936, dessen expressionistischer Gestus sich auch wenige Jahre später in Kurt Jooss' Antikriegsballett „Der Grüne Tisch“ wiederfindet.

Jung und frisch kommt schließlich die Uraufführung von Martin Schläpfers „Cellokonzert“ daher - sein Abschiedsdank an die eigene Kompanie. Dmitri Schostakowitschs 2. Cello-Konzert lässt sich mit minimalistischen Passagen und motorischen Rhythmen bestens „vertanzen“. Die sehr individualistischen Alltags-Kostüme, teilweise künstlerisch verfremdet von Hélène Vergnes, signalisieren Schläpfers Anspruch an die Gültigkeit und das Fortschreiten zeitgemäßen Balletts. Er belegt das mit Zitaten aus Kyliáns und Grahams Werken bis hin zu einer Reminiszenz an Nijinskys „Der Nachmittag eines Fauns“ in einer kurzen Solo-Sequenz von Marcos Menha und auch mit dem Wettstreit zweier Gruppen - der kleineren auf Spitze, der großen in Schläppchen. Aber seine „Geschichte“ erzählt die Sehnsucht in menschlichen Begegnungen. Gestern, heute und morgen.
Musikalisch begleiten den tiefgründigen Ballett-Abend vorzüglich die Düsseldorfer Symphoniker unter GMD Axel Kober und die Solisten Eduardo Boechat (Klavier) und Nikolaus Trieb (Cello).
 

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