Drei neue Solisten an der Pariser Oper

Der jährliche interne Wettbewerb des Corps de ballet im Palais Garnier

Trotz der größeren Gerechtigkeit, die zu entstehen scheint, dass alle Mitglieder des Corps de ballet sich vor einer Jury vorstellen können, kann man sich einmal mehr fragen, ob die Beförderung durch den Wettbewerb wirklich die sinnvollste ist.

Paris, 11/11/2019

Der diesjährige interne Wettbewerb der Pariser Oper fand am 6. (Damen) und 8. (Herren) November statt. Vor einer Jury, die aus dem Operndirektor Stéphane Lissner, der Ballettdirektorin Aurélie Dupont, TänzerInnen und BallettmeisterInnen aus der Kompanie und einigen internationalen Gästen bestand, tanzten 32 Damen und 24 Herren aus dem Corps de ballet jeweils eine Pflichtvariation und eine freie Variation, um in der strengen Hierarchie der Kompanie aufzusteigen. Diese besteht aus fünf Rängen: Quadrille, Coryphée, Sujet, Premier Danseur/ Première Danseuse (Solist/in) und Étoile (Erste/r Solist/in). Der Wettbewerb erlaubt es, in der Hierarchie bis zum Premier Danseur bzw. zur Première Danseuse aufzusteigen, während der Titel Étoile nur im Anschluss an eine Vorstellung von der Direktion der Oper verliehen wird.

Trotz der größeren Gerechtigkeit, die dadurch zu entstehen scheint, dass alle Mitglieder des Corps de ballet sich vor einer Jury vorstellen können, kann man sich einmal mehr fragen, ob die Beförderung durch den Wettbewerb wirklich die sinnvollste ist. Diese Frage stellt sich nicht nur wegen des schlechten Klimas, das durch solch eine direkte Konkurrenzsituation unter KollegInnen in der Kompanie zu entstehen droht. So lässt beispielsweise diese Form der Beförderung die Fähigkeiten der männlichen Tänzer als Partner völlig außer Acht, da die Kandidaten nur nach ihren solistischen Leistungen bewertet werden. Die künstlerischen Qualitäten treten hinter der reinen klassischen Technik zurück, obgleich die Kompanie derzeit fast keine klassischen Ballette tanzt. Obwohl auch die Leistungen des Tänzers im Laufe des Jahres eine gewisse Rolle spielen, haben die fünf Minuten des Wettbewerbs eine disproportionale Auswirkung auf die Karriere der Kompaniemitglieder. Manchen TänzerInnen entgeht die Beförderung, weil ihnen die Pflichtvariation ihrer Klasse nicht liegt, sie zu große Angst vor dem Wettbewerb haben oder gar am entscheidenden Tag krank oder verletzt sind. Andere werden aufgrund guter Technik und guter Nerven befördert, obwohl sie sonst nicht unbedingt das Zeug zum Solisten haben. Wieder andere tanzen am Tag des Wettbewerbs exzellent und werden dennoch nicht befördert.

Das war in diesem Jahr der Fall mehrerer KandidatInnen, unter anderem von Katherine Higgins, die in der Klasse der Coryphées sowohl in der Pflichtvariation aus Lifars selten aufgeführten „Variations“ glänzte als auch eine technisch herausragende freie Variation aus „Le Corsaire“ präsentierte. Bei den Männern staunte man über die Nichtbeförderung von Guillaume Diop, der trotz einiger minimaler Unsicherheiten die Klasse der quadrilles im wahrsten Sinne des Wortes überflog. Nach einer federleichten Pflichtvariation aus Auguste Bournonvilles „Napoli“ präsentierte er eine Variation aus Pierre Lacottes „Paquita“, in der nicht nur die exzellente Manège von Grand Jetés en tournant an José Martinez erinnerte. Da Diop noch sehr jung ist, steht seine Beförderung in den nächsten Jahren außer Zweifel. Bedenklicher war das schlechte Ergebnis von Jérémy-Loup Quer, der bereits einige Hauptrollen in der Kompanie tanzte und trotz einer hochwertigen Leistung beim Wettbewerb nur vierter von fünf wurde. Dabei war er einer der wenigen Tänzer, dessen Darbietung man wirklich genießen konnte, nicht nur aufgrund seiner souveränen, ruhigen Ausstrahlung, sondern auch, weil man seine wirkliche Freude am Tanz spürte. Es bleibt zu hoffen, dass ihm im Laufe des nächsten Jahres die Gelegenheit gegeben wird, sein Talent weiter zu entfalten.

Generell ließ sich feststellen, dass sich dieses Jahr weniger TänzerInnen denn je entschieden, am Concours teilzunehmen – viele waren offensichtlich der Meinung, sie hätten ohnehin keine Chance neben den jungen aufsteigenden Hoffnungsträgern. Dies zeigt den Motivationsverlust, der auch bei sehr talentierten TänzerInnen nach mehrjährigem Misserfolg beim Wettbewerb eintreten kann. Zudem erfüllt der Wettbewerb inzwischen immer weniger das Ziel, die TänzerInnen des Corps de ballet durch die Einstudierung mindestens einer schwierigen Variation pro Jahr „in Schuss“ zu halten.

Trotz der Nachteile des Wettbewerbs kann man sich mit den Beförderten freuen: die Solistinnenstelle ging verdientermaßen an Sylvia Saint-Martin, die sowohl ihre Pflichtvariation aus „Schwanensee“ (Akt 2) als auch ihre freie Variation aus „Other Dances“ (Jerome Robbins) einwandfrei absolvierte. Die beiden männlichen Solistenposten gingen an Pablo Legasa mit einer gut getanzten Pflichtvariation aus „Don Quichotte“ und einer korrekten Variation aus „Dances at a Gathering“ (Robbins) sowie an Francesco Mura, der technisch eindrucksvoll eine Variation aus Rudolf Nurejews Fassung von „La Bayadère“ präsentierte; man ist gespannt darauf, wie sich dieser solistisch noch wenig erprobte junge Tänzer in seiner neuen Position entwickeln wird.

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