Frei durch den Tanz?

Ralph Fiennes Nurejew-Film „The White Crow“ kommt in die deutschen Kinos

Der britische Regisseur Ralph Fiennes befasst sich in „The White Crow“ mit dem Beginn der Karriere Rudolf Nurejews und dessen Flucht in den Westen. Ab dem 26. September läuft der Film in den deutschen Kinos.

Rudolf Nurejew gilt als der größte männliche Ballettstar der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Emanzipation des männlichen Balletttänzers sowie die Renaissance des klassischen Balletts in der westlichen Hemisphäre können auf sein Wirken zurückgeführt werden. Sein medienwirksames Auftreten machte ihn noch zu Lebzeiten zu einer Ikone und so ist er auch heute, 26 Jahre nach seinem Tod, einem breiten Publikum bekannt.

Der britische Schauspieler und Regisseur Ralph Fiennes erzählt in „The White Crow“, der am 31. August 2018 beim Telluride Film Festival in Kalifornien internationale Premiere feierte, die ersten Jahre von Nurejews Karriere, vom Beginn seiner Ausbildung am Choreografischen Institut Leningrad 1955 bis zu seiner Flucht in den Westen während eines Gastspielaufenthaltes in Paris im Jahr 1961.

„The White Crow“ zeigt abwechselnd Ausschnitte aus den Jahren von Nurejews Ausbildung und die Wochen seines Aufenthaltes in Paris während eines Gastspiels des Kirow-Balletts. Im Vordergrund steht die Beziehung zu seinem Lehrer Alexander Puschkin (Ralph Fiennes) und dessen Frau und die Bekanntschaft mit Clara Saint, die ihm in Paris Zugang zur französischen Gesellschaft verschafft.

In kurzen Erinnerungen werden Episoden aus der Kindheit des Tänzers gezeigt. Nurejew (gespielt vom ukrainischen Tänzer Oleg Ivenko) wuchs in ärmlichen Verhältnissen mit drei Schwestern in der Nähe von Ufa auf. Durch einen Opernbesuch im Alter von sechs Jahren wurde er in die Ballettwelt gezogen, hatte Einzelunterricht und wurde schließlich trotz seines eigentlich zu hohen Alters von 17 Jahren am Choreografischen Institut angenommen.

Der Film konzentriert sich nur am Rande auf Nurejews tänzerische Besonderheiten und deren Bedeutung für das klassische Ballett. Nur in einer Szene beschreibt Nurejew Clara Saint, dass er sich für seinen Tanz von Ballerinen inspirieren lässt und das Feminine übernimmt. Vielmehr liegt der Fokus auf Nurejews Auflehnung gegen das Regime der Sowjetunion. Die Zeit in Paris fungiert in „The White Crow“ als Zeit der Befreiung. Nurejew, der in seiner Heimat ein eingeengter und oft unglücklicher Einzelgänger war, findet im Westen seine Anerkennung und Bewunderung, Gesprächspartner über Kunst und Freunde wie den französischen Tänzer Pierre Lacotte und Clara Saint.

Nachdem der Großteil des Films unaufgeregt und in kurzen Sequenzen erzählt wird, findet er einen Kulminationspunkt am Pariser Flughafen, wo Nurejew aus Angst vor einer Inhaftierung bei seiner für ihn geplanten Rückkehr in die Sowjetunion die französische Polizei um politisches Asyl bittet. Der Film schließt mit der Aufenthaltserlaubnis und somit dem Beginn seiner Ballettkarriere im Westen.

„The White Crow“ bemüht sich um ein realistisches Aufarbeiten der frühen Jahre Nurejews. Sein aufbrausender Charakter, seine Dickköpfigkeit und Arroganz, auch im Gespräch mit ihm höher gestellten Personen, aber auch sein Wissensdurst kommen in einigen Szenen klar zum Vorschein. Leider werden seine tänzerische Entwicklung und vor allem die Bedeutung Puschkins, der zunächst eine elementare Rolle zu spielen scheint, dann aber bis auf ein paar Tipps während der Probe und eines Abendessens nicht weiter in die Handlung eingreift, nicht in aller Tiefe behandelt.

Zudem ist es ärgerlich, dass sich Fiennes wie so viele anderer RegisseurInnen in der Auseinandersetzung mit anderen Biografien nicht traut, die Sexualität Nurejews klar zu beleuchten. Während ein Verhältnis zum deutschen Tänzer Teja Kremke und damit seine Homosexualität nur kurz angedeutet wird, wird der Affäre mit Puschkins Frau und der Beziehung zu Clara Saint viel größere Bedeutung beigemessen. Es wäre wünschenswert, dass im Jahr 2019 bei der Behandlung biografischer Stoffe, sei es auf der Bühne oder vor der Kamera, alle Bereiche des Lebens dieser Person beleuchtet werden, insbesondere wenn man sich um eine realitätsnahe Abbildung bemüht.

Allgemein gelingt es „The White Crow“ die Person Nurejew einem breiten Publikum näher zu bringen. Der Tänzer Nurejew und sein revolutionäres Wirken bleiben aber weitgehend unbehandelt, auch da der Film bereits 1961 endet und seine Arbeit mit Erik Bruhn und Margot Fonteyn und seine Engagements am Staatsopernballett Wien und als Direktor des Opernballetts Paris somit nicht gezeigt werden. Als Anstoß für eine intensivere Auseinandersetzung mit Nurejew ist „The White Crow“ aber definitiv sehenswert. Ab dem 26. September läuft er in den deutschen Kinos.

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