„Je sors de nulle part mais d'un trou obscur“ von Taigué Ahmed

„Je sors de nulle part mais d'un trou obscur“ von Taigué Ahmed

Fremdkörper

Taigué Ahmeds Solostanzstück im HochX München

In „Je sors de nulle part mais d'un trou obscur“ untersucht Taigué Ahmed was es bedeutet, als Mensch unter Menschen ein Fremdkörper zu sein.

München, 02/02/2019

An der letzten Szene wird noch gebaut. Doch die Neugier auf Taigué Ahmeds neues Solostück ist groß. Er will Verhaltensmuster untersuchen, Erfahrungen, die Fremde machen, wenn sie in eine andere Gesellschaft kommen. Tänzerisch der Ausgrenzung den Kampf ansagen und das Feeling transportieren, was es bedeutet, als Mensch unter Menschen ein Fremdkörper zu sein.

So wird die Voraufführung im HochX zum Testlauf ohne Finale. Was kommt über sich lange Zeit wiederholende und trotzdem leicht variierte Bewegungsabläufe hinaus beim Publikum an? Wie harmonieren Videobilder (Janine Jembere), Tanz und der live mit der Performance kreierte Sound miteinander? Die letzten zehn Minuten „Disco“ wurden noch ausgespart – zurecht meint Komponist Benno Heisel. Die Klänge, die er bisher während des Arbeitsprozesses ausgetüftelt hat, greifen das Stampfen und Springen des Tänzers auf und entwickeln ihre Wirkung direkt aus dessen Bewegungsklimax.

Es ist Heisels zweite, hautenge Zusammenarbeit mit dem Zentralafrikaner. Sein Schalt- und Aktionspult voll diverser E-Sound-Instrumente klebt unmittelbar an der Rampe. Anders als im Mai 2018 beim Gastspiel von „Waignedeh/Morgen“ – einer Ensemblestudie über das Ausharren auf dem Abstellgleis „Flüchtlingscamp“ – steht der aus dem Tschad stammende Tänzer und Choreograf Taigué Ahmed diesmal ganz allein auf der Bühne. Mit seinem Erscheinen lässt er sich allerdings viel Zeit.

„Je sors de nulle part mais d'un trou obscur“ („Ich komme von nirgendwo, aber aus einem obskuren Loch“) beginnt mit dem Blick aus einem Flieger auf eine Landschaft aus Wolken. Dann irrt die Kamera mit hoher Geschwindigkeit durch Vegetation und Beton. Bleibt irgendwann an der Schmalseite eines Kartons haften. Ruckartiges Verschieben signalisiert: In dieser Fracht steckt Leben. Mutig winkt erst ein Zeigefinger, bald eine ganze Hand ins Publikum. Als die zweite hinzustößt, denkt man an herziges Figurentheater. Die hellen Handflächen könnten Gesichter, die weggespreizten Finger ungebändigt abstehende Haare sein. Aber es geht um die Nachtschwärze des Mannes, der sich plötzlich geradezu riesenhaft aus dem kreisrunden Ausschnitt der Kiste erhebt. Eine halbe Stunde später, ausgepowert und verschwitzt am Boden hockend, traut er sich, seinem Anliegen auch laut Stimme zu verleihen.

Man versteht nur Bruchstücke. „Freiheit“ oder „les droits de l’homme“ („Menschenrechte“) knallt – dem Europäer vertraut – aus Ahmeds Heimatsprache heraus. Mehr braucht es auch nicht zum Verstehen. Einmal aus der häuslichen Schutzhülle gepellt, wird das fast permanent auf die Zuschauer ausgerichtete Traben zu einer Art rhythmischem Leitmotiv. Passagen stummer, armgestisch wirkungsvoll untermalter Konfrontation. Zum Schluss wird Ahmed die Wände seines farblosen Schutzschilds zerfetzten und sich, statt des mitschwingenden roten Ponchopullis, das goldene Trikot – Motiv seiner Ankündigungspostkarten – überstreifen.

Bunt soll es um ihn herum werden. Für einen letzten – seinen wichtigsten Tanz. Die Idee dazu holte er sich am Bahnhof, als er einen Menschen einfach so tanzen sah. Bepackt mit all seinem Hab und Gut. Ein Außenseiter im Moment persönlichen Glücks. Mit sich und der Welt im Reinen. Das ganze Stück: Sehnsucht und Hoffnungsschimmer zugleich.
 

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