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Dresden
EINS, ZWEI, DREI GODANI
Der dreiteilige Ballettabend "Girls Dance / Postgenoma / High Breed" in Dresden
Das ist nun wohl ganz normal, dass Kreationen wieder neu einstudiert werden, in neue Zusammenhänge gestellt, in andere Räume gesetzt , dass sie von anderen Tänzerinnen und Tänzern getanzt werden. Die Tänzer sind jetzt allerdings dieselben wie zur Uraufführung des kurzen Pas de deux „Postgenoma“ im Februar vor einem Jahr. Zum Glück, denn Anne Jung und Gustavo Gomez sind an den nicht gerade geringen Herausforderungen, die ihnen Jacopo Godani zutraut, bestens gewachsen. Noch immer dieser tänzerische Kampf um den aufrechten Gang als selbstbestimmtes Individuum, auch in der Selbstbestimmung des Miteinanders, wenn nötig auch der Trennung oder des Gegeneinanders. Godani hat zudem seine Kreation in ein neues Licht gesetzt, in einem von scharfen Lichtlinien immer wieder betonten, surrealen Raum. Die Körper der Tänzerin und des Tänzers bleiben im Spannungsfeld zwischen sich in die Höhe bewegenden Linien ihrer Körper und einer unbändigen Kraft aus der Tiefe unter ihnen. Am Ende, wenn das Licht erlischt, bleibt offen, ob sie sich endgültig aufrichten werden.
Anschließend, als Uraufführung dieses Abends, entsprechend dem Titel, „Girls Dance“, Godanis Kreation für sechs Tänzerinnen in Silber, bisweilen im Licht vergoldet. Erstaunlich wiederum, wie zeitgemäß der Spitzentanz sein kann, wenn sich diese Technik als Mittel des Ausdrucks fast unbemerkbar macht. In einer Abfolge, bei der jeweils Tänzerinnen ins Licht treten, während andere sich poetisch verhüllend entfernen, lösen einander Soli, Duos, Trios oder Gruppenkonstellationen ab. Dabei ist der Raum der großen Bühne leer, mitunter ist es die Bewegungsintensität nur einer Tänzerin, die ihn füllt. Die Vehemenz der Gruppe scheint ihn zu sprengen.
Wie schon im ersten Stück „Postgenoma“ und dann auch im dritten Teil des Abends, stammt auch hier der elektronische, zugespielte Sound von Ulrich Müller & Siegfried Rössert, bekannt als „48nord“. Hier bemerkenswert rhythmisch, manche Klangpassagen entführen in fernöstliche Welten. So führt auch durch den Klang diese tänzerische Suche nach emotionalen und individuellen Unabhängigkeiten in ferne, längst nicht erreichte Visionen uneingeschränkten, gegenseitigen Vertrauens. Interessant zu beobachten, wie hier durch die tänzerische und vor allem individuelle Kraft der Tänzerinnen auch bei gleicher, für Godani typischer, Bewegungsstilistik
Zum Finale dann Power pur, 17 Tänzerinnen und Tänzer, „High Breed“, vom September letzten Jahres, mit dem wohl doch besser ironisch zu verstehenden Titel von der „Hochzüchtung“. Da sind sie in der großen Gruppe, kaum zu unterscheiden als Frauen oder Männer, in den roten Ganzkörpertrikots. Es gibt milde Lichtschnitte, scharf umrissene Quadrate als Lichtinseln, auch mal totale Dunkelheit als ginge es darum, dem lauernden Unbekannten zu entkommen und immer wieder zueinander zu gelangen. Da kann der Sound schon mal schmettern, es können sich Klangflächen ausbreiten, die an Science-Fiction-Filme erinnern. Eine Ordnung der Konstellationen gibt es nicht, die Kraft der Bewegung führt zusammen, Soli erringen ihre Räume, die Gruppe nimmt sie auf, ein sensibles Duo weckt Hoffnung auf die Kraft individueller Partnerschaft gegen die Macht mathematischer Präzision.
Nach dieser am Ende mit herzlicher Begeisterung aufgenommenen Premiere bleibt doch die Frage nach Möglichkeiten der Erweiterung ästhetischer Spektren und choreografischer Handschriften, und vor allem wegen bereits guter Erfahrungen, bei hoffentlich auch künftiger Einbeziehung live gespielter Musik.
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