Ohne Tanz

„Opernland Nordrhein-Westfalen“ von Georg Quander

Der in der Kulturwelt bestens vernetzte Georg Quander hat mit „Opernland Nordrhein-Westfalen“ ein umfangreiches Buch geschrieben, das jedoch den Tanz außen vor lässt.

Köln, 30/11/2018

Von den rund 200 Opernhäusern auf der ganzen Welt befindet sich fast die Hälfte in Deutschland - 15 davon in Nordrhein-Westfalen (NRW) zwischen Aachen und Wuppertal, Münster und Detmold. Doch sei, so schreibt Autor Georg Quander in der Einleitung, das Musiktheater im größten Bundesland „ein unbekanntes Erbe“, ein „Schatz, den die Städte bewahren“ (sollten), wie er im abschließenden Ausblick mahnt.

Quander, Jahrgang 1950, ist Opern- und Filmregisseur, Musikjournalist und Kulturmanager im Ruhestand - einer also, der das deutsche Kulturleben jahrzehntelang aus unterschiedlichsten Perspektiven beobachtet und mitgestaltet hat. Etwa als Intendant der Deutschen Staatsoper/Staatsoper Unter den Linden Berlin, in leitender Funktion beim RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor West-Berlin) oder als Kulturdezernent der Stadt Köln.

Das Ballett als traditionsreichen Teil des Musiktheaters und seine Entwicklung zur eigenständigen Sparte seit Pina Bauschs mutig aufmüpfigen Wuppertaler Gluck-Inszenierungen allerdings ignoriert er in dieser kleinen, regionalen Theatergeschichte mit geradezu feindseliger Konsequenz. Warum aber fordert ein Verlag dann überhaupt Europas größtes Tanzportal zur Besprechung dieses Buches auf? Denn selbst im letzten Viertel des Bandes mit „Informationen zu den Spielstätten“, zur Verfügung gestellt von den jetzigen Theaterleitern und den jeweiligen Fördervereinen, ist über den Tanz nichts zu lesen (vermutlich gemäß redaktioneller Vorgaben). Immerhin mogelten einige pfiffige Intendanten wenigstens auf den beigefügten Fotos ihre BallettchefInnen ein: so das Landestheater Detmold ihr Urgestein Richard Lowe, die Deutsche Oper am Rhein Martin Schläpfer (den Noch-Chefchoreografen, der sein Ballett am Rhein auf Weltklasseniveau hievte) und Remus Sucheana (den offiziellen Ballettdirektor), das Aalto-Musiktheater Star-Entertainer Ben van Cauwenbergh in der Folkwang-Stadt. Münster hebt „die Zusammenarbeit mit der Sparte Tanz“ hervor. Gelsenkirchens Musiktheater im Revier lichtet neben dem Generalintendanten Schulz, Geschäftsführer Werner und GMD Baumann auch die Ballettdirektorin Bridget Breiner ab, die schon auf dem Absprung zur nächsten Sprosse ihrer Karriereleiter als Nachfolgerin von Birgit Keil in Karlsruhe ist. Das wohl am ärgsten gebeutelte NRW-Theater in Hagen zeigt seinen spanischen Noch-Ballettchef Alfonso Palencia, der wegen künstlerischer Differenzen mit dem neuen Intendanten Francis Hüsers gehen muss, aber hoffentlich ersetzt wird. Denn gerade in der kleinen Industriestadt mit den außergewöhnlich aktiven „Ballettfreunden“ wird immer wieder sichtbar (wie nebenan in Dortmund bei Xin Peng Wangs modernen, pompösen Handlungsballetten), dass Tanz an Musiktheatern zum Publikumsmagneten taugt.

Im Personenregister sind ganze fünf Namen aus der Tanzgeschichte erwähnt - darunter Rosamund Gilmore, die in den 1980er Jahren bekanntlich mit ihrer „Laokoon Dance Group“ international Furore machte, sich später allerdings mehr der Opernregie zuwandte. Laut Quander entdeckte Peter Theiler, Intendant des Musiktheaters im Revier von 2002-08, „die junge britische Regisseurin“ als Gast für Gelsenkirchen. Bernd Schindowski wird mit seiner „Inszenierung und Choreografie“ der „Westside Story“ im Rahmen der (losen) Kooperation von Gelsenkirchen mit Wuppertal in den 1990er Jahren erwähnt. Essens (nicht choreografierender) Ballettdirektor Martin Puttke steht für die DDR-Künstler, die Essens erster Aalto-Intendant Manfred Schnabel engagierte. In der Folkwang-Stadt Essen trug Kurt Joos (sic!) 1958 zum Erfolg von Purcells Tanzoper „The Fairy Queen“ bei. Pina Bausch, so weiß Quander, trat 1973 in der stummen Rolle der Prinzessin in Boris Blachers „Yvonne“ auf und „gestaltete die zu dieser Opernform (Purcells „King Arthur“) unerlässlichen Tanzszenen“. An anderer Stelle wird „Pina Bauschs renommiertes Tanztheater“ lapidar erwähnt.

Bei allem Realismus über den Zustand: hier singt kein leidenschaftlicher Opernkenner Liebesarien auf die Musiktheater-Künste zu ihrer Rettung und lässt verzückt die Puppen tanzen. Vielmehr stimmt ein bürokratischer Beckmesser ein tristes Lamento an: „Wenn sich die Lage der Kommunalfinanzen und das Bewusstsein im Land bei den Städten für den Schatz, den sie bewahren, nicht ändert, wird in absehbarer Zeit eine der reichsten und vielfältigsten Opernlandschaften der Welt nur noch Geschichte sein“.

 

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