„Twenty Eight Thousand Waves“ von Cayetano Soto

Let's Dance!

Der dreiteilige Abend "Tanz 28: New Waves" in Luzern

Mit den beiden Choreografien „Twenty Eight Thousand Waves“ und „Sortijas“ von Cayetano Soto sowie „Let’s Bowie“ von Georg Reischl.

Luzern, 22/11/2018

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wenn man nämlich wegen der Sperrung des Luzerner Hauptbahnhofs ein paar Minuten des bewegenden „Twenty Eight Thousand Waves“ von Cayetano Soto verpasst, das zusammen mit einem weiteren Stück von Soto und einer Neukreation von Georg Reischl zu Songs von David Bowie aktuell am Luzerner Theater zu dessen 10-jährigem Tanzjubiläum gezeigt wird. Cayetano Soto entführt das Publikum in eine sanfte, graue, geschmeidige und sinnliche Welt. Dort tragen die Männer graue Faltenröcke und die Frauen hautfarbene Bodies. Die zehn Tänzer*innen sind androgyn und strotzen vor Sinnlichkeit. „Twenty Eight Thousand Waves“ handelt vom Wellenschlag des Meeres, von unbändiger Kraft, Rhythmus und Bewegung. Das Zusammenspiel von Tanz, Situation und Körper kulminiert am Ende dieses 20-minütigen Stücks im gleißenden Licht, das in Form großer Scheinwerfer auf die Bühne niedergelassen wird. Szenerie und Tänzer*innen werden verschluckt. Einfach kraftvoll.

Der katalanische Choreograf Cayetano Soto ist schon viel herumgekommen. Er choreografierte etwa für das NDT und das Ballett Dortmund, im kommenden Frühjahr sind Arbeiten von ihm in Zwickau und Augsburg zu sehen. „Tanz 28“ ist seine zweite Arbeit für das Luzerner Theater. Und wie immer hat Soto auch hier einen ganz besonderen Protagonisten auf der Bühne: das Licht. Welten und Stimmungen werden erschaffen, Emotionen evoziert. Tiefgründig, dunkel, weit. Die Scheinwerfer sind sichtbar am hinteren Bühnenrand angebracht, sie sollen wahrgenommen werden. Das ist wundervoll, geht das Licht doch oftmals unscheinbar auf der Bühne verloren.

Und der nächste traumhafte Lichtkegel wartet schon auf seinen Einsatz; nach einer kurzen Pause bewegt er sich nach oben und gibt die Bühne frei für das kurze Stück „Sortijas“. In nur fünf Minuten wird hier das Menschliche verhandelt, zur ergreifenden Musik von Lhasa del Sela, einer mexikanischen Sängerin, die recht jung an Brustkrebs gestorben ist. In Blacks und etlichen Positionswechseln bewegen sich Valeria Marangelli und Carlos Kerr Jr. tänzerisch fehlerfrei über die Bühne, um den großen Fehler Leben darzustellen. Und wenn man genau hinsieht, verschwimmt das Geschlecht, denn die beiden auf der Bühne tragen dieselben Hosen und Valeria Marangelli einen Body, der ihren Oberkörper androgynisiert – oder einfach nur die weibliche Brust verschwinden lassen will. Es scheint, auf Lhasa del Sela übertragen, das zu sein, was das Leben fehlerhaft und schwierig macht. Und universaler gesehen sind es geschlechtliche Differenzierungen und Zuschreibungen, die dem Menschen Probleme aufbürden.

Dies beschäftigte auch David Bowie, Inbegriff des androgynen Popstars. Schon früh war er von Ästhetiken abseits geschlechtlicher Normen und Rollen fasziniert und spielte mit ihnen. Seine außerirdische Kunstfigur Ziggy Stardust war Ausdruck seines großen Interesses am Geschlechtslosen. Georg Reischl, der diese Saison als Trainingsleiter und Associate Artist am Luzerner Theater zu Gast ist, hat nun mit dem Tanzensemble die Songs von David Bowie auf die Bühne gebracht. In einer klaren und komplett in Gold getauchten Bühne wuseln sechs Tänzer*innen über die Bühne. Derjenige, der an diesem Abend die Bowie’sche Quirkyness am besten verkörperte, war Hospitant Janne Boere. Der schwebt und wedelt über die Bühne, wie es dem britischen Star bestimmt gefallen hätte, und versprüht Bowieluft – bis das Publikum diese einatmen und aufnehmen kann, wenn nämlich, wie könnte es auch anders sein, „Let’s Dance“ erklingt.

Der Saal bebt. So wie aktuell die gesamte Kulturlandschaft, die sich den Größen der Kunst des Pop und der PopArt widmet. Aktuell wird im Kino das Leben der Queen Freddie Mercury („Bohemian Rhapsody“) verarbeitet, und bald wird eine fiktive Lebensgeschichte über Elton John („Rocketman“) zu sehen sein. Und auf der Bühne wird der Band Velvet Underground in Freiburg („Factory“) gehuldigt und parallel das Leben Andy Warhols („Andy-Superstar!“) in Schwerin getanzt, wo freilich auch David Bowie als Figur zu sehen ist. Dieses Jahr jährt sich nicht nur die 1968er-Bewegung, es ist allgemein ein künstlerisches Interesse an den zeitgenössischen Held*innen des Pop auszumachen, die sich in der historischen Phase des Umbruchs grandios in ihren Künsten auszudrücken wussten. Und das ist gut so. Oder wie würde Bowie sagen: „Let’s Dance!“

 

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