„Lost in creation #4“ von und mit Anna Till

Ort der Utopien

Ende der langjährigen Reihe der freien Szene Dresdens „Linie 08“

Viel Sehenswertes war am letzten Abend der unkuratierten Reihe „Linie 08“ im Festspielhaus Hellerau zu erleben. Unter der neuen Intendanz wird sie so nicht mehr weitergeführt. Die Künstler sind im Haus trotzdem weiterhin gern gesehen.

Dresden, 22/10/2018

Irgendwie hatte es etwas Symbolhaftes, als Bettina Lehmann vom Tanznetz Dresden, dem losen Zusammenschluss vieler freier Tänzerinnen und Choreografen der Stadt, in einem Grußwort die letzte Veranstaltung der Reihe „Linie 08“ begleiten wollte. Ihr Mikrofon setzte immer wieder aus. Böse formuliert könnte man meinen, der freien Szene wird hier die Stimme genommen. Ein bisschen ist es auch so, wenn dahinter auch keine böse Absicht stehen mag.

Nach fast acht Jahren und 131 Produktionen, von denen in der Regel mehrere kurze Arbeiten für einen Abend zusammengefasst wurden, hat die Veranstaltungsreihe ihr Ende gefunden. André Schallenberg, Programmleitung Theater und Tanz am Festspielhaus Hellerau, hob die Bedeutung der Reihe für die Szene hervor, die bis dato Leistungen hervorgebracht habe, aus denen fortan geschöpft werden könne. Die freie Szene soll zukünftig mit abendfüllenden Arbeiten im Haus vertreten sein. Es wird sich zeigen, inwiefern die beteiligten Künstler dann handverlesen sein werden oder ob das Spektrum weiterhin abgebildet werden wird.

Der letzte „Linie 08“-Abend brachte nicht nur Performances. Videos und eine audiovisuelle Installation zeigten performative Möglichkeiten mit unterschiedlichen Mitteln. Die Möglichkeiten im Ausdruck waren auch gleich in der ersten Performance, einer „interaktiven Luftinstallation“ mit dem Titel „Alltagsarsenale“ von Franziska Kusebauch Thema. Wo der Text im Programmheft eine abgehobene Nummer mit „schwebendem Zuschauerraum“ andeutete, erlebte das Publikum schlicht und ergreifend eine äußerst beeindruckende Nummer am Vertikaltuch.

In „Rumichaca Vol. 2“ tanzte Yamile Navarro die Makarena, während sich Jule Oeft in einem Bad Popcorn rekeln durfte. Diese fortdauernde Auseinandersetzung mit kulturellen Begegnungen zwischen Deutschland und Kolumbien hat viel an Gesten zu bieten, die sich aber nicht in jedem Moment dem Publikum erschließen.

Auf alle an diesem Abend gezeigten Arbeiten einzugehen, würde den Rahmen sprengen. In jedem Fall erwähnenswert ist aber die Arbeit „variations on_Mary“ der guts company. In und um ein beeindruckendes Gebilde aus gerahmten Leinwänden, die später als Projektionsfläche für ein Video dienen, hinterfragen Josefine Wohsalo und Romy Schwarzer überliefertes Bewegungsmaterial der Choreografin Mary Wigman (1886-1973), die in Dresden noch heute einen bedeutenden Namen hat. Grundlage waren hier Teile der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 1936, an der Wigman choreografisch beteiligt gewesen war. Die Überdehnung, Streckung und Verzerrung der Bewegungen bildet einen schlüssigen Kommentar in der Auseinandersetzung mit Tanzerbe.

Den Abschluss bildete Anna Tills Solo „Lost in creation #4“, das sie in der ursprünglichen Variante gemeinsam mit Martina Francone im Duo entwickelt hatte. Das Themenfeld Aliens, Weltall und dessen Erforschung ist hier auf die Eingangsszene reduziert worden, das ein merkwürdig geformtes Wesen zeigt. Anna Till robbt in schalem Licht über die große Bühne des Festspielhauses, indem sie ihre Beine über Kopf gelegt hat und damit ihren blanken Rücken präsentiert. Durch das unzureichende Licht entsteht nicht nur eine Atmosphäre des Unheimlichen. Das Wesen, das man sieht, ist schlichtweg kein menschlicher Körper mehr. Aus dem Off klingen unterkühlte Präsentationen der NASA, ähnlich einer Pressekonferenz. Am Ende heißt es dann, die Wissenschaft hätte bislang keine Belege für Leben „da draußen“. Komischerweise sind ja aber wir alle „da draußen“. Und die Vielfalt dieses Lebens, die bunte Mischung, wurde hier geradezu friedlich demonstriert.

 

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