„Sommernachtstraum“ von Sergei Vanaevs 

Purzelbaum in Pastell

Sergei Vanaevs "Sommernachtstraum" am Stadttheater Bremerhaven

Im norddeutschen Hafenstädtchen mit dem runden Jugendstiltheater wird die Shakespeare-Komödie von der hochmotivierten kleinen Balletttruppe gleich in zwei Varianten getanzt.

Bremerhaven, 22/10/2018

Mitternacht. Schwarz stehen die gemalten Bäume. Schemenhaft leuchten lila Linien auf der Rinde wie geschwollene Adern und Sehnen auf muskulösen Armen. Aus Astlöchern tropfen Harz-Ovale wie milchige Opale. Unter dem riesigen Rund eines Spiegels, der als Baldachin über einer für laszive Lüste aufgebetteten Lagerstatt baumelt, hopsen, turnen und tuscheln Feenkönig Oberon und sein wilder Vasall Puck, der kaum erwarten kann, bis der Spuk beginnt, alles heillos durcheinander gerät und alle sich verdattert fragen: „Träum' oder wach' ich? Wein' oder lach' ich?“

Und schon setzen im Orchestergraben die Streicher ihre Bögen auf die Saiten, lassen sie flirren und flitzen. Holzbläser mischen sich ein. Mendelssohn wusste sehr wohl, wie geheimnisvoll so eine märchenhafte Geisterstunde zu klingen hat. Das Philharmonische Orchester Bremerhaven unter Ektoras Tartanis zaubert jede Nuance mit ätherischer Leichtigkeit und poltert ordentlich, wenn der Handwerkertrupp mit gelben Helmen, Stirnlampen und Leuchtwesten in derben Stiefeln aufmarschiert wie Baumfäller im Hambacher Forst – und ganz schnell verjagt werden. Bremerhavens langjähriger Chefchoreograf Sergei Vanaev lässt sie nicht einmal ihre tölpelhaften Theaterproben zelebrieren und erspart ihnen den peinlichen Auftritt am höfischen Hochzeitstag.

Vorher aber segeln Lämpchen aus dem Bühnenhimmel wie Sternschnuppen am Firmament. Unglücklich Verliebte flüchten sich in den hell strahlenden Nachtwald, gefolgt von selig Liebenden. Puck purzelt und hechtet, wirft voll Wonne Goldflitter in die Luft. Bonbonfarbener Tüll flattert. Oberon setzt sich den Eselskopf auf, um seine triste Titania (in Schwarz) zu erschrecken. Der bleibt viel später vor Entsetzen förmlich der Mund offen stehen, als Lüstling Oberon Arm in Arm mit der Sologeigerin von hinnen schreitet.

Was für eine geniale Idee! Denn nach der Pause präsentiert Vanaev zu Philip Glass' Violinkonzert, das Katerina Chatzinikolau ganz wunderbar mit dem Orchester spielt, den „Sommernachtstraum“ als abstraktes Tanzstück. Die Handlung wird kaum angedeutet – bis sich am Ende Edward Hookham und Alícia Navas Otero – alias Oberon und Titania – erschöpft auf dem Boden ausstrecken und eng umschlungen, einträchtig in traumlosen (?) Schlaf sinken.

In diesem zweiten Teil tritt das Ensemble wie auf einer Probe im Ballettsaal in Trainingszeug auf: die langen Tüll-Hosen und -Bustiers passen zu dem furiosen Mix aus klassischem Ballett, Modern Dance, Aerobic, Akrobatik und Streetdance. Das nüchterne Ambiente ist perfekt zur modernen Musik. Die schrill bonbonfarbenen, flatternden Kostüme und die kitschigen Akzente der Dekoration (Ausstattung: Darko Petrovic) zur leichten Eleganz von Mendelssohns Musik dagegen taten einfach nur weh. Auch hätte eine etwas subtilere, gedämpfte Ausleuchtung den Traumszenen gut zu Gesicht gestanden.

Freilich: Diese Truppe im norddeutschen Hafenstädtchen mit dem runden Jugendstiltheater im Schatten des mächtigen Leuchtturms am Wasser verausgabt sich bis aufs Letzte. Choreografisch wäre allerdings weniger – vor allem im ersten Teil – wohl mehr gewesen. Wild bis scharf an die Grenze zu Klamauk und Klamotte werden barfuß und in Schläppchen in beiden Teilen ohne Unterschied Tanzstile vermengt. Dennoch: Schnell sprang ein Funke dieses kunterbunten Feuerwerks über den Orchestergraben ins Parkett. Mit minutenlangem Applaus und stehenden Ovationen feierte das Premierenpublikum Volodymyr Fomenko (Puck), Edward Hookham (Oberon/Handwerker), Alícia Navas Otero (Titania), Jason Franklin (Theseus), Rena Somehara (Hippolyta), Ting-Yu Tsai (Hermia), Lidia Melnikova (Helena), Stefano Neri (Lysander/Handwerker), Ilario Frigione (Demetrius/Handwerker) und Larissa Tritten (Elfe/Vorarbeiter).

 

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