Junges Ensemble Stuttgart mit „R.E.S.P.E.C.T.“

Mit Leichtigkeit

Das sechste THINK BIG!-Festival für junges Publikum in München

Nach dem überzeugenden Anfang der Kibbutz Dance Company 2 begeistern Produktionen aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland junges und älteres Publikum beim sechsten THINK BIG!-Festival.

München, 24/07/2018

Erwachsene denken viel zu viel nach. Alles ist kompliziert und alles, was wie wann wo gesagt wird, muss genauestens geprüft werden. Nichts kann einfach mal nur so zum Spaß geschehen, schon gar nicht in der Theater-, Tanz- und Performancewelt. Zum Glück gibt es das THINK BIG! in München. Ein Festival für junges Publikum, das die Leichtigkeit zurück auf die Bühne holt und dadurch selbst die tragischsten Themen wunderbar bearbeitet.

Schon mal ganz leicht angefangen. In „Getting Dressed“ (für Kinder ab vier Jahren) der britischen Kompanie Second Hand Dance geht es ganz einfach ums Anziehen. Im HochX gehen sie vielen Fragen nach: Wie viele Oberteile kann man eigentlich übereinander tragen? Wie springt man am elegantesten in die Hose und wie kommt man am schnellsten wieder raus? Die bunte Tanzperformance geizt nicht an farbenfrohen Kleidungsstücken, die im Sekundentakt zu Indiebeats durch die Luft fliegen. Ohne das Thema Kleidung mit gender-, diskurs- und politorientierten Dingen aufzuladen, ist eine witzige Bewegungsstunde in einem riesengroßen Kleiderschrank daraus geworden. Was man mit Kleidung alles anstellen kann, können die Kinder nach der Aufführung selbst herausfinden und beim „Stay and Play“ die Performer*innen nach Lust und Laune 'einkleiden'. Jedoch stehen diese am Fleck wie Vogelscheuchen und werden von den Kindern mit Pullovern und Hosen beworfen. Wo soll das hinführen außer zur totalen Überdrehung der Kids?

Die drei Performances „LOVE“, „R.E.S.P.E.C.T.“ und „Witness This“ für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren tasten sich so langsam an tiefergehende Themen heran. In der Schauburg, die seit diesem Jahr Kooperationspartner des Festivals ist, finden die beiden ersten statt. Die niederländische Truppe Maas theater en dans aus Rotterdam hat einen riesigen Treppenblock im hinteren Teil der Bühne aufgebaut, der sogar Wasser spendet. Der dient nicht nur als Sichtschutz, sondern auch als Sitzmöglichkeit. Beispielsweise wenn einer der Performer versucht, eine Performerin anzusprechen; dann warten die anderen ab und machen sich bei Nichtgelingen über ihn lustig. „LOVE“ handelt von den Schmetterlingen im Bauch und den tollen und peinlichen Situationen, in die ein junger Mensch gerät, wenn sich das Herz zu Wort meldet. Es sind etliche urkomische Szenen dabei, für die meistens Jefta Tanate verantwortlich ist, wenn er voller Körperbeherrschung stürzt und stolpert oder tanzt. Die ein klein wenig zu lange dauernde Tanzperformance ist wie ein Teenage Dream mit indischem Ende. Denn da tanzen nicht nur die Performer*innen einen indischen Volkstanz auf dem wassersprühenden Treppenblock, sondern am Ende auch das gesamte Publikum in den Sitzreihen.

Einen Block als Bühnenbild hat auch das Junge Ensemble Stuttgart in ihrer komisch-kritischen Tanzperformance „R.E.S.P.E.C.T.“. Darin nehmen sie kein Blatt vor den Mund und bringen alles auf die Bühne, was sich privilegierte Europäer*innen bezüglich eines respektvollen Zusammenlebens der Gesellschaft, Fremder und Flüchtlinge denken. „Ich weiß, es ist ein Vorurteil, aber Schwarze können sehr schnell rennen“, tönt es aus einem der Münder und ZACK! ist Kelvin Kilonzo über die Bühne gerannt und bestätigt das Gesagte. Wie schwierig es ist, mit diesen vorprogrammierten Meinungen und Bildern im Kopf umzugehen, thematisieren die jungen PerformerInnen des preisgekrönten Kinder- und Jugendtheaters Stuttgarts klug, ehrlich und mit viel Humor. Ein halbes Jahr arbeiteten unter Leitung von Brigitte Dethier und Ives Thuwis-De Leeuw sechs Jugendliche (Jonathan Beck, Najbeer Tarek Haji, Beverly Mukunjadze, Lee Mülders, Niklas Weise und Leah Wewoda), zwei Tänzer (Lin Verleger, Kevin Kilonzo) und eine Schauspielerin (Franziska Schmitz) an diesem unerschöpflichen Thema. Das Ergebnis ist niemals kitschig, voller Fettnäpfchen, etlichen Besserwissereien und ganz viel Bewegung.

Um Zusammenleben, Freundschaft und Vertrauen geht es bei der Company Chameleon aus Manchester in Großbritannien. Ganz im Gegensatz zu den Landsleuten mit dem bunten „Getting Dressed“ verhandelt Kevin Edward Turner in „Witness This“ seine bipolare Störung. An manchen Tagen ist er der „Master“ und fühlt sich Allen und Allem überlegen, an manchen ist für ihn jedoch alles ein Desaster und er zerbricht an innerer Leere. Wie er, seine Freunde und Familie mit dieser Diagnose umgehen und wie sie diese Zerreißprobe meistern, stellen sie in der Tanzperformance dar. Anhand von Tanzsituationen zu zweit, bei dem Kevin Edward Turner von seinem Kollegen Theo Fapohunda gestützt werden muss, da er sich nicht mehr alleine bewegen kann; oder in (be)ruhigenden Sequenzen der Heilung mit Maddie Shimwell; oder aber in einem Solo in dem größenwahnsinnig über die Outdoorbühne geschritten wird. Die psychische Krankheit wurde hier quasi tänzerisch auch auf die anderen Performer*innen, die Mitmenschen umgelagert. Und das macht die Wahl des Aufführungsortes so treffend, denn sie findet im öffentlichen Raum, im Forum des Gasteig, statt. Company Chameleon kreiert hauptsächlich Performances für den öffentlichen Raum, und somit ist das Publikum mit einbezogen in die quälenden Vorgänge der Psyche und „Witness This“, das auf Deutsch so viel heißt wie „Werde Zeuge“, bekommt einen bestimmten Nachdruck, wird fast zur Aufforderung.

Dass das THINK BIG! ein Festival für junges Publikum ist macht die gute, auf Kinder und Jugendliche abgestimmte Stückauswahl aus. Manchmal vermisst man den Weitblick und schmerzend-tiefgründigen thematischen Abgründe. Doch genau das ist wiederum die Stärke an diesem Festival und an diesen Stücken, nicht alles zu ernst nehmen zu müssen und überdenken zu wollen. Die Themen, die behandelt werden, sind trotzdem ganz groß: der Mensch und seine Psyche, das Fremde und natürlich die Liebe. Das Maas theater en dans vermittelt uns deswegen auch ganz treffend: Tanzen verbindet, über Kontinente und Hautfarben hinweg.

 

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