„Emergence“ von Crystal Pite

Dreierlei aus Kanada

Gastspiel des National Ballet of Canada im Rahmen der 44. Hamburger Ballett-Tage

Im Gepäck hatten die Kanadier drei kürzere Stücke: „The Dreamers Ever Leave You“ von Robert Binet, „The Man in Black“ von James Kudelka und „Emergence“ von Crystal Pite.

Hamburg, 06/07/2018

Zum dritten Mal nach 1989 und 1994 gastierte das National Ballet of Canada in Hamburg. Dessen heutige Direktorin Karen Kain (von 1970 bis 1997 selbst als Solotänzerin im Ensemble) ist Hamburgs Ballettintendant John Neumeier seit mehr als 40 Jahren freundschaftlich verbunden. Mit Neumeiers Arbeit kam sie erstmals 1974 in Kontakt, als Rudolf Nurejew in Kanada „Don Juan“ tanzte (das Stück wird jetzt mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko bei der Nijinsky-Gala gezeigt werden). Inzwischen tanzt das National Ballet of Canada mehrere große Neumeier-Ballette.

Im Gepäck hatten die Kanadier dieses Jahr drei kürzere Stücke: „The Dreamers Ever Leave You“ von Robert Binet, „The Man in Black“ von James Kudelka und „Emergence“ von Crystal Pite. Es sind drei Werke, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. „The Dreamers Ever Leave You“ bringt 13 Tänzer*innen auf die Bühne, die sich zu Klaviermusik von Lubomyr Meinyk (der selbst am Flügel sitzt) zu immer neuen Formationen reihen. So gleichgültig, wie die Musik durchrauscht („minimal music“ ist eben mehr als immer nur mit den Händen über die Tastatur zu gleiten und eine wasserfallähnliche Geräuschkulisse zu erzeugen), so eintönig gestaltet sich die Choreografie. Das Spektakulärste an allem ist die schwarz-weiße Vexierbild-Kulisse, die an die schroffe Bergwelt im Norden Kanadas erinnert.

Sehr viel eindrucksvoller dann „The Man in Black“ zu sechs späten Songs von Johnny Cash. Drei Männer in kariertem Hemd, schwarzer Hose und genagelten Schuhen (Jonathan Renna, Piotr Stanczyk, Robert Stephen) bringen hier zusammen mit einer Frau in Rock und Bluse mit Cowboystiefeln (Jenna Savella) eine Nummernrevue zusammen, die ebenso spritzig wie emotional bewegend zu der brüchig gewordenen Stimme Johnny Cashs passt. Ganz großes Kino!

Noch eine Steigerung mehr ist jedoch „Emergence“ von Crystal Pite, ein Auftragswerk aus dem Jahr 2009. Hintergrund des Stückes ist eine naturwissenschaftlich-theoretische Abhandlung über die Schwarmintelligenz. Bühnenbild und Kostüme (schwarze Kopfhauben, schwarze Trikots) erinnern an Ameisen oder Bienen, die futuristische elektronische Musik von Owen Belton tut ein Übriges.

Es beginnt mit einem Pas de deux, bei dem sich zwei larvenähnliche Wesen umeinander bewegen und umschlingen, um schließlich von einem schwarzen Loch verschluckt zu werden. Aus diesem wuseln aber unversehens viele, viele Männchen heraus und formieren sich zu großen, synchron tanzenden Tableaus, bis sie von ebenso vielen Weibchen verjagt werden, die sich schwarmähnlich vereinigen und wieder ausschwirren. Insgesamt 38 Tänzerinnen und Tänzer wogen hin und her, mal finden sich einzelne, dann wieder alle. Aggression und Konfrontation strahlen sie aus, aber auch Einigkeit und Zusammenhalt. Crystal Pite ist hier eine großartige Allegorie auf das Zusammenleben der Menschen gelungen. Ein Stück, das man gerne gleich noch einmal gesehen hätte.

 

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