„Aspects“ von Katarzyna Kozielska

Aller guten Dinge sind drei

"Slovanský temperament" beim Ballett des Prager Nationaltheaters

Drei tänzerische Erkundungen bezüglich des slawischen Temperaments sehen Vielfalt und Kontraste als Chance.

Prag, 23/06/2018

Das gab es seit 20 Jahren nicht mehr beim Ballett des Prager Nationaltheaters. Drei Uraufführungen an einem Abend, Kreationen der jüngeren Generation, unterschiedliche, in ästhetischer Korrespondenz überzeugende Auseinandersetzungen mit der aktuellen Frage nach Ambivalenzen dessen, was gemeint sein kann, mit diesem 'slawischen Temperament'.

Es geht um die Akzeptanz der Vielfalt; aufbrechende Kontraste als Chance, nicht als Bedrohung zu akzeptieren. So lassen sich die Uraufführungen als persönliche Versuche der Auseinandersetzung mit der Kraft und Zerbrechlichkeit des individuellen Temperaments, angesichts der Erkenntnis sehen, dass es 'das' slawische Temperament nicht gibt. Es ist ein Zusammenspiel, ein Zusammenklang mittels des Tanzes und der Musik im Spiegel optischer Assoziationen.

Der tschechische Tänzer Ondřej Vinklát, erster Solist beim Ballett des Nationaltheaters Prag, gibt mit „Dumka“ sein Debüt als Choreograf und Komponist. Antonín Dvořáks „Dumka Nr. 4“, mit melancholischen Passagen, mutigen Rhythmen und nostalgischen Intensionen, wird erst am Ende der Choreografie in der kammermusikalischen Version erklingen. Zunächst in Varianten als Komposition des Choreografen, als müsse er sich auch musikalisch durchringen, wenn es darum geht, Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Aufbruch als Chance zu begreifen. Choreografisch gelingen eindrucksvolle Bildkompositionen im Spiel mit Licht und Schatten, mit Spiegelungen eines Paares hinter einer gläsernen Wand mit der Gruppe davor, was sich im Verlauf der Choreografie umkehren wird, um am Ende die Chancen tänzerischer Vielfalt des Aufbruchs im Wechsel mit poetischer Besinnung zu feiern.

Provokanter setzt sich der russische Tänzer und Choreograf Andrej Kajdanovskij in „Perfect Example“ mit der Frage nach Normen und deren Durchsetzung auseinander. Das perfekte Beispiel gibt es für Kajdanovskij, Tänzer beim Wiener Staatsballett und in der kommenden Saison erneut als Choreograf für das Bayerische Staatsballett verpflichtet, nicht. In einer knatternden Aufnahme dröhnt aus Lautsprechern, wie man es aus sozialistischen Zeiten kennt, das Geschmetter der sogenannten „Panslawischen Hymne“.

Dreizehn grau gekleidete Tänzerinnen und Tänzer werden wie von unsichtbaren Mächten mittels Stromstößen in Einheitsvorgaben gelenkt. Kopfbandagen nehmen den Gesichtern ihre Individualität. Und doch brechen Einzelne immer wieder aus, Tanz gegen das Grauen optischer Assoziationen. Die Stromstöße der Bewegungsvorgaben verlieren ihre Wirkung. Die Menschen legen ihre Bandagen ab: offene Gesichter, Freiheit individueller Bewegung, Visionen tänzerischer Vielfalt der Temperamente. Und ein herrlicher Gag: Oben im Bühnenhintergrund, im jetzt sichtbaren Tonstudio, herrscht Chaos. Kurzschluss in der Macht- und Schaltzentrale.

Im Mittelpunkt des Abends, dramaturgisch klug gesetzt, „Aspects“ von Katarzyna Kozielska, die derzeit ihre Karriere als Tänzerin beim Stuttgarter Ballett beendet, um sich künftig ganz der choreografischen Arbeit zu widmen. Ihr Beitrag bezieht sich in abstrakter Abfolge von Bildern und Situationen zum einen auf Aspekte des Tanzes, zum anderen auf Aspekte der existenziellen Natur von Menschen, die sich Zuordnungen entziehen können, um somit Momente des Glücks in der Freiheit des Risikos zu erleben. Interessant, wie sie choreografisch arbeitet, um tänzerisch den Widerspruch menschlicher Wahrnehmungsaspekte sichtbar zu machen. So wechselt die Tänzerin Kristýna Němečková von neoklassischer Spitzentechnik zu zeitgenössischen Formen, um in verblüffenden Momenten beide Stile zu vereinen. Dann kommen da, wo das Herz schlägt, die Aspekte zusammen, gehen über in die Freiheit hoch oben geführter Bewegungen der Arme voller Anmut und Leichtigkeit. In Korrespondenzen tänzerischer Freiheit übernehmen fünf Paare im Wechsel mit den Solist*innen weitere Varianten der Facetten des Tanzes. Alina Nanu und Adam Zvonař tanzen im Lichtkreis ein Duett zur Musik von Henryk Górecki. Zum einen ein Verweis auf die polnische Herkunft der Choreografin, zum anderen klingende Aspekte slawischen Temperaments spiritueller Art.

Mit diesem, in wachem Zeitbezug konzipierten Abend geht die erste Saison von Filip Barankiewicz als künstlerischem Leiter beim Ballett des Prager Nationalballetts zu Ende. Erfolgreich in der Rückschau, vielversprechend in der Vorschau. So wird ein vierteiliger Abend dem tschechischen Meisterchoreografen Jiří Kylián gewidmet. Erstmals gibt es außerhalb von Stuttgart John Crankos „Schwanensee“ in neuer Ausstattung zu sehen. Und für die Uraufführung eines Balletts nach Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ konnte Mauro Bigonzetti gewonnen werden.

 

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