„Amour“ von Alize Zandwijk und Samir Akika

Schmaler Grat zwischen Lachen und Weinen

„Amour“ mit Choreograf Samir Akika im Kleinen Haus am Theater Bremen

Regisseurin Alize Zandwijk und Choreograf Samir Akika haben sich in ihrer ersten Zusammenarbeit mit dem Thema Demenz und Alzheimer auseinandergesetzt. Entstanden ist eine fragende, herantastende und oft absurde Annäherung.

Bremen, 06/06/2018

In Deutschland gibt es mehr als eine Million Demenzkranke, Tendenz steigend. Diese Entwicklung stellt unsere Gesellschaft, die sich vornehmlich Optimierung und Wachstum auf die Fahnen geschrieben hat, vor viele Fragen, die ihren eigenen Idealen konträr gegenüber stehen. Wie ist es, mehr und mehr die Kontrolle über Körper und Geist zu verlieren und alles zu vergessen – wer wir sind und was in unserem Leben von Bedeutung war? Was bedeutet dies für Angehörige? Und wer kümmert sich und wie sollte dies geschehen?

Es ist eine gute Idee, sich diesem Thema auch auf der Theaterbühne anzunähern. Das Vergessen, das Hauptmerkmal dieser Krankheiten, äußert sich ebenso stark körperlich wie geistig. So ist auch die Entscheidung, spartenübergreifend zu arbeiten, folgerichtig. Samir Akika ist bekannt, für sein Interesse an Alltagsthemen und eine choreografische Arbeit, die nicht allein den üblichen Vorstellungen von Tanz folgt. Außerdem gehört für Akika das Geschichtenerzählen zu einem der ersten Anlässe für seine Arbeit. Umgekehrt sind Zandwijks Schauspiel-Inszenierungen oft von großer Körperlichkeit geprägt.

Die Bühne (eine überzeugende Arbeit des Bühnenbildduos Thomas Rupert und Nanako Oizumi) zeigt eine Turnhalle vergangener Zeiten, genutzt als Mehrzweckraum, in dem man Menschen, zwischen Kletterwand und Duschen, auf unterschiedliche Weise beschäftigen kann. Die Musikerin Maartje Teussink sitzt anfangs mit einer Tuba an der Bühnenrückwand und beginnt mit einem alten Schlager von Mary Hopkins, der später immer wieder unterschiedlich und sehr bewegend von ihr vorgetragen wird. Wie ein roter Faden erscheint der Song, der von guten alten Zeiten erzählt sowie von Schmerz und Abschied. Die Tubatöne bilden den Auftakt für abstruse Schieflagen der Welt, die sich dann eröffnen.

Mit oder ohne Rollator, am Arm einer Pflegerin oder in einem Rollstuhl hereingeschoben, kommen die Akteure nach und nach auf die Bühne. Allein ein bis zwei Pfleger müssen diesen 'merkwürdigen Haufen' beieinander halten. Die eine schimpft, während sie mit dem Rollator Experimente unternimmt, der andere schaut stoisch aus dem Rollstuhl und gibt merkwürdige Töne von sich, wieder ein anderer fällt ununterbrochen von einer Bank, während sein Nachbar ständig den Arm hochreißt und eine Frau, die mit einer Gehhilfe herumtippelt, sich immer wieder die Unterhose auszieht.

Und schon beginnt das 'bunte Programm' eines möglichen Tages in einem Pflegeheim. Es gibt Musik und Tanz, es wird Besuch empfangen und verabschiedet; es wird versorgt, herumgeirrt, vor dem Fernseher gehockt, geduscht und gegessen. Dabei wechseln Pfleger und Pflegebedürftige auch schon mal urplötzlich ihre Rollen; und man weiß manchmal nicht mehr, welche Position hier schwieriger ist. Kaleidoskopartig sieht man unterschiedliche Szenen mit verschiedenen Charakteren, die dem Theaterabend berührende wie witzige Momente und Bilder bescheren.

Verzweifelt singt und schreit die Ehefrau eines Kranken Jacques Brels „Ne me quitte pas“, als sie bei einem Besuch wieder einmal begreift, dass ihr Mann sie nicht erkennt. Eine andere (Verena Reichhardt) hat sich nackt unter die Dusche gesetzt. Vorher tanzte sie „Mon Amor“ singend mit Gabrio Gabrielli, jetzt rinnt ihr das Wasser wie Tränen über den Körper. Und da tanzt der Rollstuhlmann (Guido Gallmann) verliebt mit der Gehhilfen-Frau (Fania Sorel), doch plötzlich bricht der schöne Moment, wenn sie sich laut plätschernd in die Hose macht. Der Urin/das Wasser auf der Bühne wiederum lädt eine Pflegerin (Marie-Laure Fiaux) beim Aufwischen ein, sich in einem wilden Tanz zu verlieren. Zu all dem liefert Maartje Teussink mit Tuba, Gitarre und Gesang wirklich einen tollen Soundtrack!

Die Übergänge von Schauspiel und Tanz sind dabei mal angedeutet, mal krass voneinander abgesetzt, manchmal fließend. Immer wieder entsteht der Tanz aus Alltagsbewegungen. Doch leider hat Tanz insgesamt in der Inszenierung nur wenig Raum; vor allem ist er nicht ausgewogen integriert; manchmal wirkt er wie isoliert. So kommt das Gefühl auf, beide Sparten hätten das Thema für sich erarbeitet und dann erst kurzfristig zusammengesetzt.

„Amour“ bietet einen abwechslungsreichen Blick auf das Thema Demenz mit einem engagierten Ensemble in einem überzeugenden Bühnenbild. Zandwijk hat einen Sinn fürs Absurde, was zum Thema Demenz sicherlich passt. Doch oft überspannt sie das Spiel zwischen Tragik und Komik. Dann scheint das Gezeigte nur auf Lacher gesetzt und klamaukig. Was die Kooperation zwischen Schauspiel und Tanz angeht, so lässt sie aus dem Blickwinkel Tanz dramaturgisch wie darstellerisch Möglichkeit und Wünsche offen.

 

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