„Eiland“ von Mami Kawabata

Takt, Tempo und viele Rätsel

Der neue Tanzabend „Venus“ am Gerhart-Hauptmann Theater in Görlitz

Die Welt aus der Sicht von Frauen, so lautet das Thema des neuen Tanzabends der Görlitzer Tanzkompanie. Die Choreografien kreierten Noa Zuk, Mami Kawabata und Adi Salant.

Görlitz, 22/05/2018

Weil es an der Zeit sei, die Welt aus der Sicht von Frauen zu betrachten, so die Frauenrechtlerin Charlotte Bunch, habe man sich entschieden, drei Choreografinnen zu bitten, Stücke für die Görlitzer Tanzkompanie zu kreieren, so Dan Pelleg, der diese Kompanie gemeinsam mit Marko E. Weigert leitet. Mit der Ausstatterin Britta Bremer kommt eine vierte Frau dazu und in der ersten Kreation des Abends doch auch wieder ein Mann, denn die Choreografin Noa Zuk, mit langjährigen Erfahrungen als Tänzerin bei der Batsheva Dance Company in Israel, hat sie gemeinsam mit dem interdisziplinär arbeitenden Künstler Ohad Fishof entwickelt. In „Shutdown“ wiederholen zunächst die in bunte Kostüme gekleideten Tänzerinnen und Tänzer der Görlitzer Kompanie vielfach ritualisiert anmutende Gruppenvorgaben, als bewegten sie sich wie spielende Kinder im Freien, nach streng vorgegebenem Takt und Rhythmus. Im zweiten Teil der Kreation dann sind sie einheitlich gekleidet in ausgeleierten Unterwäschebodys, die wie Relikte aus Zeiten des Militärdienstes wirken, und die Strenge der vorigen rhythmischen Vorgaben löst sich auf in einer sich assoziativ weitenden Klanglandschaft. Dennoch finden sich in den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer starke Relikte der sie prägenden Taktstrukturen, von denen sie sich nicht gänzlich zu befreien vermögen.

Die japanische Tänzerin Mami Kawabata gehört seit sechs Jahren der Görlitzer Tanzkompanie an. Inzwischen hat sie sich auch einen Namen als Choreografin gemacht. Käme einmal der Zeitpunkt für sie, an dem sie wüsste, was genau Tanz ist, so im Programmheft, dann würde sie aufhören zu tanzen – und zu choreografieren, muss man hinzufügen, denn in ihrer neuesten Arbeit „Eiland“ gibt es mehr Fragen als Antworten. Über den neun Tänzerinnen und Tänzern in grauer Internatskleidung befindet sich eine Gesteinsplastik, die manchmal Schatten auf sie wirft. Ihre Bewegungen muten mitunter wie Zitate ritueller, fernöstlicher Traditionen an und entwickeln sich auch zum Drehen um die eigene Achse nach Art meditativer Sufi-Kreise. In Trance geraten sie nicht bei den bearbeiteten Zitaten minimalistischer Klänge von Steve Reich. Denn mit schrillen Auftritten beider Chefs der Görlitzer Kompanie, Dan Pelleg und Marko E. Weigert, die zu Nenas Song „99 Luftballons“ Goethe zitieren, vegetarische Lebensweise verteidigen und wohl schon etwas abbekommen haben von dem himmlischen Gestein, um dass sich dann auch prompt alle reißen, werden die Regeln der Tanzrituale gebrochen. Und wenn am Ende Edith Piaf davon singt, dass sich der Schlag ihres Herzens nicht beherrschen lässt – „Padam, Padam, Padam“ – dann verlassen die Tanzchefs die Bühne und ihre „Schüler“ drehen sich frei und fröhlich im französischen Walzertakt inspiriert durch die Rätsel dessen, was ihre Kollegin als Tänzerin aus Japan in Görlitz wahrnimmt.

Die Choreografin Adi Salant leitete acht Jahre lang gemeinsam mit Ohad Naharin die Batsheva Dance Company, in der sie auch tanzte. Jetzt studiert sie weltweit Naharins Choreografien ein und hat sich zudem mit eigenen Arbeiten einen Namen gemacht. Ihre künstlerische Herkunft verbirgt sie nicht, das ist auch erkennbar an ihrer Görlitzer Kreation „Steady Space“ für elf Tänzerinnen und Tänzer. Auf der weiten, leeren Bühne mit erhöhtem Podest im Hintergrund, von dem zwei Treppen in den Vordergrund führen, vollzieht sich ein munteres Kommen und Gehen, Suchen und Finden, Zusammenkommen und Verlassen. Da täuschen schon mal die gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Farben und Schnitte der Kostüme Zusammengehörigkeiten vor, die sich im nächsten Augenblick als Irrtümer erweisen können. Immer wieder bringt die tänzerische Bewegung Menschen in neue Beziehungssituationen, in unterschiedliche Konstellationen der so entstehenden flüchtigen Gruppen. So erzählt die Choreografin mit der bestens aufgelegten Kompanie nicht eine Geschichte, sondern lässt wie in Blitzlichtern knappe Motive vieler Geschichten aufeinander treffen. Da dürfen berührende Emotionen mitschwingen bis hin zu jenen schmerzhaften Erfahrungen der Einsamkeit, mit denen diese Kreation zur elegischen Streichermusik „The Waves-Tuesday“ von Max Richter, dem Meister des zeitgenössischen Schönklangs, ausklingt und verlischt. Ganz großes Gefühl, denn Richters Musik, so in einer Rezension der Londoner Times, weine wie ein gebrochenes Herz. Die Herzen des Görlitzer Premierenpublikums sind nicht gebrochen, sie schlagen hoch, so auch die Wogen der Begeisterung nach diesem Tanzabend im Zeichen der Venus.

 

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