„Waves“ von Tarek Assam

Ästhetische Wellen

Der Tanzabend "Waves" von Tarek Assam am Stadttheater Gießen

Darin erarbeitet er tänzerisch die Schwerkraft und offenbart die Erdenschwere des Menschen

Gießen, 18/05/2018

Als Tarek Assam vor zwei Jahren zum Auftakt der TanzArt ostwest „Gravitas“ präsentierte, da galt die Schwerkraft noch als wissenschaftlich nicht erklärbar. Im Oktober 2017 wurde der Nobelpreis für Physik an drei US-Forscher verliehen; für den ersten direkten Nachweis, dass Gravitationswellen im All entstehen. Naheliegend, dass Assam diese astrophysische Entdeckung aufgriff und quasi eine Fortsetzung der Choreografie schuf, die den Titel „Waves“ trägt. Die Premiere war am Donnerstagabend auf der taT-Studiobühne in Gießen.

Auch sein Kreativteam ist weitgehend das von 2016 geblieben; die 3-D-Videoinstallation schuf Lieve Vanderschaeve; für Bühne und Kostüme ist Michele Lorenzini verantwortlich. Das Bühnenbild besteht wieder aus zwei über Eck stehenden Wänden, die samt Fußboden als Projektionsflächen für die Videos dienen. Neu sind die davor aufgestellten Lamellen aus Holz, die Wellenbewegungen simulieren und die Videoeffekte ein weiteres Mal brechen. Auch das umgebende Halbrund aus senkrecht positionierten Lichtröhren kommt bekannt vor. Die Kostüme sind diesmal komplett weiß und rufen bei Schwarzlicht magische Momente hervor.

Das 3-D-Video zeigt viele Wellenformen: als Ozeanwellen mit schwimmendem Kind, als Aufzeichnung elektromagnetischer Wellen in sich verändernder Kurvendichte. Diese visuellen Elemente werden von den Tanzenden teilweise aufgegriffen, jedenfalls kommen Schwimmbewegungen häufiger vor, auch das von Astronauten bekannte Herumkugeln in der Schwerelosigkeit des Alls wird nachgeahmt. Wellen gibt es natürlich als Binnenbewegung der Tänzer*innenkörper und als Impulsweiterleitung in Reihe.

Textzitate von Wissenschaftlern erscheinen auf der Wand, oder die Tänzer sprechen stichwortartig ins Mikrofon. Einmal werden all die Autoren der Science-Fiction-Szene seit Jules Verne und Aleksandr Abramov aufgezählt. Menschen denken gern in die Zukunft, konstruieren Bedingungen, die sein könnten, auch Choreografen tun dies, wie man in „Waves“ auf höchst ästhetische Weise erleben kann.

Die Musikauswahl ist wieder ungewöhnlich und imaginationsfördernd; mal sind es Straßengeräusche, dann elektrisches Zischen und elektronisches Wummern, aber auch freundliche Klaviermelodien. Rhythmischer Popsound der japanischen Art mit Gesang (Koh) ist dabei, zu dem Assam improvisieren lässt.

Das langjährige Mitglied der Tanzcompagnie Gießen, Caitlin Rae-Crook, bietet eine überzeugende Gesangsimitation und Free-Style-Tanzeinlage, ist total groovy und locker dabei. Es gibt bemerkenswerte Soli (Mamiko Sakurai, Magdalena Stoyanova), staunenswerte, sogar erotische Pas de deux (Maria Adriana Dornio und Bayarbaatar Narangeel) und Dreiergruppen im Duktus der Contact Improvisation. Mit im Tanzteam sind Yusuke Inoue und Sven Krautwurst.

Die Atmosphäre wandelt sich von kühl-sterilem Labor mit roboterähnlichen Bewegungen zum fröhlichen Spiel mit dem Wasser, ein andermal sind die Bewegungen eingegrenzt auf den Bahnen von Rastern oder schwebend leicht in der Unendlichkeit des Weltalls. Doch landet das Ganze auch im Hier und Jetzt, wird am Ende sogar schwerfällig, wenn die Aufforderung heißt: „Activate the Waves“! Da hat die ferne Macht wohl bessere Möglichkeiten als der zu Erdenschwere bestimmte Mensch.

 

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