„Neues Stück I - Seit sie“ von Dimitiris Papaioannou

Zirzensische Hommage an Pina Bausch

Adolphe Binder beweist in Wuppertal mit Dimitris Papaioannou einen guten Griff

So könnte die Zukunft des Tanztheaters Wuppertal neun Jahre nach dem Tod von Deutschlands größter Tanzrevolutionärin seit Mary Wigman beginnen. Bleibt nur die Frage: Wie viel Pina-Bausch-Handschrift muss sein?

Wuppertal, 13/05/2018

Das Erbe Pina Bauschs in Wuppertal anzutreten ist ein Balanceakt, eine Zitterpartie, eine gewaltige Anstrengung durch unwegsames Terrain. Das alles fällt schon ins Auge in der lautlos pantomimischen ersten Szene von Dimitris Papaioannous' Hommage an Pina Bauschs Tanztheater „Seit sie –“, das die neue Intendantin des Tanztheater Wuppertal, Adolphe Binder, bei dem Griechen in Auftrag gab. Die Deutsche, die als Tanzdirektorin in Göteborg international Aufsehen erregte, geht ihre Aufgabe ebenso kenntnisreich wie sensibel an. Schon allein mit den Neuengagements im Ensemble oder den dominanten Besetzungen im „Neuen Stück I“ setzen sie und Papaioannou auf ein Déjà vu im besten Sinn. Beglückt feiern Bausch-Fans ein Wiedersehen u.a. mit Ruth Amarante (die im Finale minutenlang über rollende Röhren wandert), Ditta Miranda Jasjfi (die den Baum schleppt), Azusa Seyama, Julie Anne Stanzak (schöner und edler denn je!) und Michael Strecker (mit Bart). Breanna O'Mara ist bei dieser Premiere die „Tochter“ Julie Shannahans. Papaioannou setzt ihre aparte Schönheit mit vier Verehrern, die sie mit Palmwedeln und Lorbeerzweigen als rothaarige Jugendstilschönheit umgarnen, hinreißend in Szene. Franko Schmidt erinnert an einen Zwitter aus Lutz Förster und Jan Minarik. Der kahlköpfige Russe Oleg Stepanov bringt die Bewegungsvielfalt von Dominique Mercy und Rainer Behr mit. Die zarte Ophelia Young strahlt die Aura einer koketten Bausch-Diva vom Kaliber einer Aida Vainieri aus. Scott Jennings fällt durch unbefangene Energie auf. „Kolibri“ Tsai-Wei Tien lässt ihre Füße flirren und fliegen wie Ditta Miranda Jasjfi ehedem ihre Finger.

So könnte die Zukunft des Tanztheaters Wuppertal neun Jahre nach dem Tod von Deutschlands größter Tanzrevolutionärin seit Mary Wigman beginnen. Erstmals seit dem plötzlichen Tod der legendären Prinzipalin aus dem Bergischen Land eröffnete die Kompanie ihre Spielzeit 2015/16 mit neuen Stücken von hierzulande weitgehend noch unbekannten Choreografen. Bislang hatte man sich mit Stücken aus dem umfangreichen Bausch-Repertoire auf den traditionellen, ausgedehnten Tourneen in alle Welt und bei den vertraglich vereinbarten, stets ausverkauften Auftritten in Wuppertal konzentriert; wobei offensichtlich viel Trauerarbeit dies- und jenseits der Rampe geleistet wurde. Eine neue, aber nicht fremde Welt tummelte sich auf der Wuppertaler Bühne. Der Dreiteiler endete wie ein großes Zirkusfest, das nur leider eben auf fast jeder deutschen Stadttheaterbühne abgehen könnte, wie manche befanden.

Wie nah Pina Bauschs Revuen tatsächlich der heutigen, zirzensischen Kunst sind – oder auch: wie sehr Pina Bausch artistische Ensembles wie Cirque du Soleil oder Cirque Éloize beeinflusst hat – unterstreicht Dimitris Papaioannou mit „Seit sie -“. Souverän und wunderbar unverkrampft „zitiert“ er im trauernd-düsteren Ambiente Bauschs Stücke – bis hin zu Requisiten, wie den einfachen schwarzen Holzstühlen (u.a. aus „Nelken“ und „Kontakthof“) und dem entwurzelten Baum aus dem letzten Stück „… como el musguito en la piedra, ay si, si, si …“. Auch die Kostüme von Thanos Papastergiou – wunderbar wehende, helle Batiströcke, elegante schwarz-goldene Abendroben und High Heels oder formelle schwarze Herrenanzüge – erinnern an Marion Citos High-Society-Damen und -Herren. An Peter Pabsts Bühnenlandschaften erinnern die anthrazitfarbenen Schaumstoffhügel von Tina Tzoka. Zum Glück erschöpft sich beileibe nicht alles bei dieser Premiere in Bausch-Reminiszenzen. Artistische Kunststücke machen staunen – bis hin zur Abrundung im Finale, in dem sich der Stuhlreihen-Bauer des Auftakts, Michael Strecker, alle Stühle auf den Leib drapiert – bis das Konstrukt schließlich zusammenbricht. Was für ein Bild für den griechischen Sisyphos-Mythos vergeblicher Menschenmühen!

Papaioannou trifft den Nerv von Pina Bauschs Kunst und ihrer Anhänger*innen in diesem Moment. Das sehr bewegte Premierenpublikum dankte mit stehenden Ovationen. Es bleibt die Frage: Wie viel Pina Bausch-Handschrift muss sein, um der Legende „Tanztheater Wuppertal“ nach der Ära Bausch gerecht zu werden? Vielleicht bietet diese erste Saison von Adolphe Binder mit der Uraufführung von „Neues Stück II“ des Norwegers Alan Lucien Ǿyen am 2. Juni schon einen Hinweis in die richtige Richtung.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern