„Romeo und Julia“ von Nacho Duato

„Romeo und Julia“ von Nacho Duato

Intensiver Tanz in Finsterwelten

Nacho Duatos Abschied beim Staatsballett mit „Romeo und Julia“

Das muss man Nacho Duato lassen: Seine Inszenierung von „Romeo und Julia“ hat den Mut zur eigenen Lesart und gehört damit zu den ungewöhnlichen choreografischen Umsetzungen des beliebten Balletts von Sergej Prokofjew.

Berlin, 03/05/2018

Das muss man Nacho Duato lassen: Seine Inszenierung von „Romeo und Julia“ hat den Mut zur eigenen Lesart und gehört damit zu den ungewöhnlichen choreografischen Umsetzungen des beliebten Balletts von Sergej Prokofjew. In der Fassung des Intendanten des Staatsballetts Berlin allerdings auch zu den finstersten, nicht zuletzt durch Jaffar Chalabis auf Schwarz abonniertes Bühnenbild und Brad Fields‘ Lichtregie, die mehr verbirgt als zeigt. Entstanden ist sie schon 1998 für die Compañia Nacional de Danza in Madrid, dessen langjähriger Leiter Duato war. In überarbeiteter Form eroberte sie das Michailowski-Theater St. Petersburg, wo Duato vor dem Wechsel nach Berlin Ballettchef war. Diese in zwei Akte geteilte Version läuft nun für sieben Vorstellungen, dem Vernehmen nach alle ausverkauft, und in mehreren Besetzungen an der Lindenoper. Wie auch viele andere Adaptionen, die man sah, hat sie Vorzüge und Nachteile.

Vorteilhaft ist ihr durchgängig tänzerischer Gestus, ganz ohne pantomimische Elemente und mit häufig sehenswerten Auflösungen und Übergängen. Dass hier der Tanz jedoch zu oft die Erzählung zuwuchert, ist ihre entscheidende Schwäche. Schmunzeln machen unter wappengeziertem Plafond die anfänglichen Drohgebärden der verfeindeten Clans: Mistgabeln à „La Fille mal gardée“ recken die Montagues, Schwerter zücken die Capulets. Auf den Mistgabeln wird gar Tybalt getragen. Düster das Zimmer Julias, erhellt nur von Funzeln, begrenzt von einer Mauer, die diverse Fensteröffnungen ermöglicht und später mit Kreuzesdurchbruch zur Kirche wird. Einziges Lichtwesen in latent gefährdetem Umfeld ist Julia. Als Rose reichender Harlekin stiehlt sich Romeo in ihren Tanz mit Paris. Im Gewusel des Kissentanzes geht diese Begegnung allerdings unter, so wie die kreuchende Funktion der übrigen Harlekine im Hintergrund fast unsichtbar bleibt.

Dass Duato durch permanente Finsternis die Bedrohlichkeit der Situation verdeutlichen will, ist konsequent, dass er geradezu Horror vor Emotionen hat, rächt sich in der Balkonszene. Hat schon das Kennenlernen der Liebenden wenig Atmosphäre, so fehlt es der Balkonszene an Poesie: Auch wenn Julia erst scheu den Arm, dann den Körper durch den Türspalt schiebt, gerät der Pas de deux mit Romeo in all den Schleudern, Bodenrollen und der Fliegerpose zum Technikfestival; einen Kuss gibt es geahnt nur hinter der Tür. Den Teil nach der Pause eröffnen die fröhliche Karnevalsszene und die Briefübergabe einer resoluten Amme an Romeo, unterbrochen von der kurzen Vereinigung des Paars durch Lorenzo. Nicht einmal der tödliche Kampf von Tybalt, Mercutio und Romeo vermag zu berühren. Zu wenig werden stücklang die wesentlichen Momente aus dem Geschehen herausgehoben. Nach dem Mord an Tybalt entweicht Romeo flugs durchs Fenster ins Gemach der Julia. Beider Abschiedstanz ist wieder gewuchtete Feier von Technik.

Wenn dennoch in der Inszenierung Dramatik aufkommt, ist das dem Spiel von Polina Semionova als Julia zu danken, etwa wie sie sich gegen die Liaison mit einem farblosen Paris wehrt und vom gewalttätigen Vater dafür misshandelt wird. Die Giftszene wäre die Stunde einer großen Darstellerin: zu zeigen, welche Ängste sie peinigen, ehe sie den Trank einnimmt. Duato gibt ihr indes zwei Tänzer als personifizierten Gifthauch bei, die sie schleppen und umturnen und so in der Rolleninterpretation behindern. Attraktiv gerät das Bild in der Gruft. Durch ein umnebeltes Tor schreitet der Vater, bettet die leblose Tochter auf einem Katafalk, umschwirrt von schwarzen Fahnenschwingern: als Mix aus Dürers Apokalyptischen Reitern und einem Aufzug der Gothic-Szene. Romeo hat all das am Portal beobachtet und dringt in den dann geschlossenen Raum ein, erhellt lediglich von einem matten Schweinwerfer. Im Dunkel erledigt Romeo rasch Paris, steht unschlüssig, bevor er sich der Toten zuwendet. Keine Leichenfledderei wie üblich, rasches Ende der Liebenden, er durch Gift aus einer Ampulle, sie durch seinen Dolch. Auch keine Versöhnung der Familien am Schluss, womit der Choreograf angesichts der gegenwärtigen Weltlage leider richtig liegt.

Arshak Ghalumyan als Mercutio und Federico Spallitta als Tybalt leisten Beachtliches, weniger überzeugend ist Ivan Zaytsev als Gast vom Michailowski-Theater im Part des Romeo. Reichlich zu tun hat die Gruppe, befeuert von der Staatskapelle unter Paul Connally. Mit dieser letzten abendfüllenden Produktion endet die eher glücklose Intendanz von Nacho Duato. Keines der Werke wird von der neuen Leitung in die nächste Saison übernommen. Der Kompanie hat Duato in seinen vier Jahren kein erkennbares Profil geben noch sie national, geschweige denn international positionieren können. Bis zum Überdruss liefen seine Stücke in allen drei Spielorten. In diese Zeit fällt der gerechtfertigte Kampf des Ensembles um bessere Arbeitsbedingungen; seine ungerechtfertigte Dauer verantworten Andere. Man kann beiden, Nacho Duato wie dem Staatsballett, zukünftig nur mehr Fortune wünschen.

 

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