„Faust – ein Ballett“ von Edward Clug

Voller Kraft und Fantasie

Edward Clug bringt in Zürich erfolgreich „Faust – ein Ballett“ zur Uraufführung

Das neue „Faust-Ballett“ des slowenischen Choreografen besticht mit erfindungsstarken Massenauftritten und farbiger Charakterzeichnung. Mit Goethes berühmtem Drama gehen Clug und das Ballett Zürich locker um.

Zürich, 29/04/2018

Johann Wolfgang Goethes „Faust“ ist ein Ehrfurcht gebietendes Drama. Wir – in den deutschsprachigen Kantonen – durften/mussten es schon in der Schule lesen. An der Produktion von „Faust – ein Ballett“ in Zürich sind aber lauter Nicht-Deutschsprachige beteiligt, denen der „Faust“ nicht eingeimpft wurde. Gastchoreograf Edward Clug, in Rumänien geboren, lebt seit langem als Ballettchef im slowenischen Maribor. Auch Komponist Milko Lazar, Bühnenbildner Marko Japelj und Kostümbildner Leo Kulas kommen aus Slowenien. Die Tänzerinnen und Tänzer des Zürcher Balletts stammen aus 23 verschiedenen Ländern, aber nicht aus Deutschland, der Schweiz oder Österreich. (Einzige Ausnahme: Solotänzerin Katja Wünsche, zurzeit im Ausstand, ist Deutsche.)

Die Behauptung sei gewagt: All diese fremdsprachigen „Faust“-Laien waren dazu prädestiniert, ein so farbiges, prägnantes, oft sehr lustige „Faust“-Ballett zu kreieren, weil sie keine literarischen Skrupel hatten.

Das Ballett beginnt hoch expressiv: Der bucklig gekrümmte alte Faust schiebt seinen Rollstuhl rund um die Bühne. Hinten prunkt durch ein Fenster ein Sonnenuntergang. Lange Gestalten liegen auf dem Boden, entfalten ihre Flügel und entpuppen sich als düstere Schicksalsengel, die den lebensmüden Faust umflattern. Der möchte sich das Leben nehmen, wird aber von einer lichten Erscheinung daran gehindert.

Die Inhaltsangabe im Programmheft gibt in 13 Szenen den Inhalt von Goethes Faust I wieder. Im Zentrum das Auftauchen des listigen Mephisto, mit seinem Vertrag mit Faust, wonach sich dieser alles wünschen darf – um den Preis seiner Seele. Darum herum der Osterspaziergang, die Hexenküche, Gretchens Zimmer, Marthe Schwerdtleins Garten, Walpurgisnacht und so weiter.

Clug nimmt alle diese Motive auf, hält aber nichts von ehrfürchtiger Nacherzählung. Er und das Ballett Zürich knüpfen an Goethe-Details an, lassen jedoch von hier aus der Fantasie freien Lauf. Das führt zu starken Massenauftritten, farbigen Charakterzeichnungen, halsbrecherischen tänzerischen Aktionen. So wetzen bei Fausts Verjüngung freche Meerkatzen ihre Messer, während eine Hexe auf Spinnenbeinen (Elena Vostrotina) ihre Künste walten lässt. Faust wird übel malträtiert, herum bugsiert, geht am Ende aber als jugendlicher Held aus den Strapazen hervor. Sportlich, in weißem Turndress, das dunkle Haar stramm nach hinten gekämmt.

Später tötet Faust im Zweikampf ungewollt Gretchens Bruder Valentin (Alexander Jones) – schuld daran ist natürlich Mephistos hinterlistiges Eingreifen. Die Umstände dieses Duells werden im Ballett so intensiv geschildert, dass man sich in einen Historienfilm versetzt fühlt. Hinter einem Kornfeld, unter gefährlich dräuendem Himmel, findet nämlich schon vor dem Zweikampf ein blutiger Streit zwischen Soldaten statt, die mit ihren Schwertern aufeinander losgehen. Wie römische Legionäre.

Jan Casier (Faust) und William Moore (Mephisto) tanzen ihre vom Temperament her so unterschiedlichen Rollen wunderbar, ob solistisch oder im Pas de deux. Casier als Softie, Moore als athletischer Alleskönner mit teuflischem Charme. Gern sieht man ihm zu, wie er mit Marthe Schwertlein schäkert, die im Ballett durchtrieben-kokett von Viktorina Kapitonova gespielt wird.

Amüsant, wie sich Mephisto, der bei Goethe zuerst in Gestalt eines Pudels aufkreuzt, aus einem schwarzen Plastik-Ballon einen Minihund zusammenbastelt, den er in Fausts Studierstube schiebt. Oder wie sich Fausts Rollstuhl in ein Büchergestell oder einen Popcorn-Servierwagen verwandelt. Vom Popcorn zur Pop Art!

Und Gretchen (Michelle Willems)? In einem reizvollen Soloauftritt spielt das Mädchen mit der Perlenkette, die sie in ihrem Stübchen findet. Ein schwarzer Priesterarm nimmt ihr den Schmuck von rechts weg, eine neue Kette wird ihr von links gereicht – auftauchen Faust und Mephisto.

Die Liebe zwischen Faust und Gretchen entfaltet sich in schönen lyrischen Szenen. Die sind sonst eher rar, eine Schwäche in Clugs Choreografie. Die ungewollte Schwangerschaft, das Ausgestoßen-Sein aus der Gesellschaft – sie werden im Schnellverfahren abgehandelt. Flugs steht ein moderner Kinderwagen auf der Bühne. Später wird Gretchen von schattenhaften Doubles umkreist. Alle tragen Wassereimer, in die sie wie zum Selbstmord ihre Köpfe stecken. Gretchen geht einen Schritt weiter als ihre Gefährtinnen, schüttet die Wasserflut in den Kinderwagen. Der unsichtbare Säugling stirbt. Am Schluss kauert die Mutter in der Zelle, regungslos, lässt sich von Faust nicht befreien. Hier bricht die Choreografie brüsk ab.

Clug variiert mit Genuss seine zeitgenössische Tanzsprache. Mal pathetisch, mal parodistisch. Klassischer Tanz fehlt weitgehend. Höchstens, dass sich die Hexe oder ein Partygirl zwischendurch kurz auf die Spitzen stellen.

Die Musik zu „Faust“, von der Philharmonie Zürich unter dem Russen Mikhail Agrest eindringlich gespielt, stammt von Milko Lazar. Sie ist in intensiver Zusammenarbeit mit Edward Clug entstanden. Eine kontrastreiche, wohlklingende, oft repetitive Komposition, mit Einschlüssen von Vogelstimmen, Jazz- oder Schlager-Motiven. Eine Musik, die man sogar ohne Tanz genießen könnte.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern