„The Gift“ von Itzik Galili für Eric Gauthier

Ne nous quitte pas!

Eric Gauthiers grandioses Solo „The Gift“ erlebte im Stuttgarter Theaterhaus eine glanzvolle Uraufführung

Es sollte ein Abschied werden und ist alles andere als das – eine Aufforderung zum Weitermachen: „The Gift“ in der Choreografie von Itzik Galili

Stuttgart, 22/03/2018

Nomen est omen: „The Gift“ – der Titel passt gleich in mehrfacher Hinsicht auf diesen Abend. Zum einen empfindet Eric Gauthier es selbst als Geschenk, dass der israelische Choreograf Itzik Galili dieses Stück für ihn und mit ihm erarbeitet hat. Zum anderen sind die gesamten 70 Minuten ein einziger großer Dank an das Geschenk des Künstlertums, an das Leben und die Liebe. Vor allem aber ist Eric Gauthier selbst ein Geschenk – als Mann, Tänzer, Musiker, als Mensch. Er hat die Gabe, tief Empfundenes souverän und mit zwingender Bühnenpräsenz in Bewegung umsetzen zu können, mit aus tiefstem Herzen kommender Liebe zum Tanz und zur Bühne. Dieser Tausendsassa unter den Künstlern macht das wie kaum ein Zweiter – mit einer Hingabe und Intensität, und mit so viel Charme, dass es dem Publikum glatt den Atem verschlägt.

Viele Jahre lang tanzte Eric Gauthier beim Stuttgarter Ballett, er war der erklärte Liebling des Publikums. Seit 2007 ist er Chef seiner eigenen, höchst erfolgreichen und von sechs auf sechzehn Köpfe angewachsenen Kompanie „Gauthier Dance“ am Stuttgarter Theaterhaus, er ist Gitarrist einer Pop-Band, künstlerischer Leiter des Tanzfestivals COLOURS; im September kommt Brechts „Dreigroschenoper“ als Film in die Kinos, Eric Gauthier hat die Choreografie dafür erarbeitet. Und last but not least ist er dreifacher Vater, die Familie bedeutet ihm viel: „Meine wunderbare Frau und meine Kinder erden mich, sie sind mein Gegenpol zur Theaterwelt, sie sorgen dafür, dass ich nicht abhebe“, sagt er.

Jetzt sei es jedoch Zeit für eine Wandlung. „Ich werde in Zukunft nicht mehr so präsent sein als Tänzer auf der Bühne, auch wenn ich sicher nicht aufhöre zu tanzen. Nur: So eine ganze Abendproduktion alleine zu bestreiten, ist eine große Herausforderung – ‚The Gift’ wird sicher das letzte Mal sein, dass ich so etwas mache.“ Von einer solchen Soloproduktion habe er jedoch immer geträumt – jetzt könne er diese innere Reise gemeinsam mit dem Publikum antreten.

Und was für eine wunderbare Reise das ist! Ein Jahr lang hat Gauthier mit Itzik Galili daran gearbeitet. „Es war kein einfacher Prozess, wir mussten erst den richtigen Weg finden“, sagt er. „Itzik hatte das Bild eines Lügendetektors im Kopf, das war unser Ausgangspunkt, und ich war sehr glücklich mit dieser Konzeptidee. Man fragt sich im Leben ja immer: Habe ich alles richtig gemacht? Bin ich ein guter Mensch? Von da ausgehend haben wir das Stück entwickelt und mit dem Tanz zusammengefügt.“

Itzik Galili hat Eric Gauthier eine genau zu ihm passende Bewegungssprache auf den Leib geschrieben, Egon Madsen, der großartige Tänzer, sein Freund und Mentor seit vielen Jahren, dessen Rollen Gauthier beim Stuttgarter Ballett getanzt hat und dem er seither verbunden geblieben ist, mit dem er oft auf der Bühne stand (unvergessen ihr gemeinsamer Auftritt in Christian Spucks „Don Q“), war auch hier sein künstlerischer Begleiter. Eine Crew von fantastischen Technikern und eine sensible Dramaturgin (Esther Dreesen-Schaback) standen ihm zur Seite. Entstanden ist ein Stück mit einer ausgebufften Lichtregie und eine Inszenierung, in der Eric Gauthier alle seine Begabungen entfalten kann: seine einmalige Bewegungsgeschmeidigkeit – kreiselnd, tänzelnd, springend, gleitend, drehend, immer dem Publikum zugewandt, und doch ganz bei sich. Seine Schlagfertigkeit und Eloquenz, diese mitreißende Entertainer-Qualität. Sein liebevoller, leichtfüßiger Charme, mit dem er das Publikum für sich einzunehmen weiß. Seine poetische Ausdruckskraft – im Wort ebenso wie in der Musik, wenn er nachdenkliche Lieder zur Gitarre singt. Es sind Texte voller Witz, Humor und Hintergründigkeit, aber ebenso voller Melancholie, Selbstzweifel, Trauer. Vor allem aber: Seine Hingabe, diese grenzenlose Hingabe an den Tanz, an die Bühne, seine „ever lasting love“, an die Kunst, an das Publikum. Hier breitet ein begnadeter Künstler seine Seele aus – schutzlos, und doch voller Vertrauen, verstanden zu werden.

Grandios die Idee, die Kamera (exzellent geführt von Rainhardt Albrecht-Herz) als ständigen Begleiter zu inszenieren, im Dunkeln, anfangs kaum erkennbar. Sie bleibt komplett unaufdringlich und ist doch immer Spiegel, vermittelt eine andere Perspektive, indem sie die Bilder live auf eine Leinwand im Bühnenhintergrund projiziert, was dem Ganzen eine zusätzliche Dimension verleiht. Der Tanz wechselt sich ab mit Text- und Musikeinlagen, und natürlich darf nicht fehlen, dass Gauthier die Zuschauer zum Mitmachen animiert. In diesem Fall lässt er – der „Jamie Oliver des Tanzes“, wie er mal genannt wurde – mit umwerfendem Charme und Humor das gesamte Publikum pantomimisch Spaghetti Carbonara zubereiten ...

Verspielt hintergründig der Einfall, jedem Gast beim Hereinkommen ein kleines Schraubdeckelglas in die Hand zu drücken, in dem – so wird es später deutlich – Erinnerungen gespeichert sind (wie auch auf der Bühne große Weckgläser als Gedächtnisspeicher fungieren, die immer mal wieder vorsichtig geöffnet werden, manche werden auch verschlossen in die Gasse zurückgerollt). Eric Gauthier fordert einige Zuschauer auf, das Gläschen zu öffnen – und heraus kommt als erstes – akustisch passend eingeblendet – das Weinen eines Neugeborenen. Dann ein kräftiges Klopfen an der Tür seines früheren Chefs, des Stuttgarter Ballett-Intendanten Reid Anderson (der selbst im Publikum saß) – und dem er seinerzeit mitteilte, er wolle künftig in Kanada Musik machen. Anderson antwortete gelassen, er solle am nächsten Tag wiederkommen, und wenn er dann immer noch von dieser Idee überzeugt sei, könne er gehen. Nächstes Gläschen: Ein sehr viel zaghafteres Klopfen – es war der Folgetag, an dem Gauthier eingestand, dass die Idee vielleicht doch nicht so gut war – er blieb. Nächstes Gläschen: Ballettmusik aus „Dornröschen“. Nur kurz, aber das Stichwort für die nächste Tanzeinlage: Gauthier, der immer gerne mal einen Prinzen getanzt hätte, aber nie durfte, zeigt jetzt, wie der Prinz aus „Dornröschen“ oder Basilio in „Don Quichotte“ mit Aplomb auftritt. Oder er erklärt den Kameramann kurzerhand zur Ersatz-Julia, um den umständlichen Auftritt Romeos in der Balkonszene zu mimen – und das Publikum biegt sich vor Lachen.

Solche Slapsticks – überaus gekonnt und mit dem richtigen Timing serviert – sind gerade so sparsam dosiert, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Hier rutscht nichts ins Triviale ab und wird sofort wieder hingewendet in eine tiefe Ernsthaftigkeit, denn: „there is no more then, there is only now“. So auch der Schluss, wenn Gauthier das berühmte „Ne me quitte pas“ von Jacques Brel als Bitte, als Wunsch an das Publikum singt – herzergreifend und zutiefst berührend. Und gerade wenn man meint, das war’s, stellt er sich noch einmal auf die Bühne, gebietet er den Standing Ovations Einhalt, mit dem Rücken zum Publikum, den Kopf leicht über die Schulter zur Seite gedreht, den rechten Arm ausgestreckt - und tanzt, als sei‘s eine Zugabe, ein atemberaubend liebevolles, hingegebenes Solo zu „Claire de la lune“ von Claude Debussy. Am Ende trinkt er den Beifall aus einem der Erinnerungsgläser – und nimmt ihn ganz in sich auf, bevor er mit dem Publikum verschmilzt. Ein großartiger Abschluss, ein bewegender Abend, ein großer Künstler. Ne nous quitte pas, Eric Gauthier!

 

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