„Juliet Letters - Briefe an Julia“ von Adriana Mortelliti, Tanz: Andrea Simeone, Andrea Masotti

Der Tanz um die vielen Facetten des Glücks

Adriana Mortellitis „Juliet Letters - Briefe an Julia“ am Staatstheater Cottbus

Eine sensible wie empfindsame, mitunter melancholische Choreografie von besonderer Kraft.

Cottbus, 04/03/2018

Eigentlich ist es ja ein Brief an Romeo, der ihn nicht erreicht und somit die tödliche Tragödie in Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ auslöst. Seit aber zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts ein findiger Museumsdirektor in Verona aus einem verfallenen Grundstück mit sicherem Gespür für eine touristische Attraktion jenen Palast samt berühmtem Balkon und Grab nach spätmittelalterlichen Vorbildern gestaltete, in dem Shakespeares Julia gelebt haben und gestorben sein soll, hinterlegen hier Menschen aus aller Welt ihre Briefe an Julia. Liebesbriefe zumeist, die aber auch per Post an diese Casa di Julietta in Verona adressiert sind. Bis zu 10.000 Briefe pro Jahr werden von 20 ehrenamtlichen Sekretärinnen und Sekretären Julias beantwortet. Es handelt sich um eine eigens gegründete Organisation; das Porto übernimmt die Stadt Verona.

Für die italienische Choreografin und bildende Künstlerin Adriana Mortelliti war dieses Phänomen in einer Zeit, in der angeblich gar keine Liebesbriefe mehr geschrieben werden, ein Anlass, Briefe von Liebenden aus verschiedenen Zeiten, allen gesellschaftlichen Schichten, bekannten und unbekannten Absenderinnen und Absendern zu lesen. Was sie dabei bewegte, was sie berührte, verwunderte und manchmal sicher auch erstaunte, was sie lachen und weinen ließ, das regte sie an zu ihrem Ballett „Juliet Letters – Briefe an Julia“, dessen Uraufführung in der Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Schon der optischen Emotion des Beginns dieses Ballettabends kann man sich nur schwer entziehen. „Dear Juliet“ – dieser Schriftzug einer Projektion von Ron Petraß auf der weiten, eigentlich leeren Bühne mit dem großen Sofa, mit den vielen darüber in unterschiedlicher Stärke leuchtenden Glühbirnen von Hans-Holger Schmidt, wird von Tränen ausgelöscht. Die Tänzerin in ihrem Solo, mit einem Brief in der Hand, dessen Inhalt uns verborgen bleibt, kann, aber muss eben nicht Julia sein – ebenso wie die weiteren drei Tänzerinnen. Und dass die vier Tänzer auf keinen Fall Romeos im Sinne der Tragödie Shakespeares sind, ist auch klar. Aber sie werden im Verlauf dieses Abends alle zu möglichen Briefschreiberinnen und -schreibern, sie bekommen Briefe, und reagieren darauf, oder auch nicht, was auch eine Reaktion ist.

Handlungen im üblichen Sinne werden nicht getanzt, Briefe werden auch nicht vorgelesen. Die im Programmheft abgedruckten allerdings sollte man schon lesen, nach der Aufführung am besten. Und weil es sicher nicht selten vorkommt, dass der Inhalt eines Briefes beim Empfänger ganz anders ankommt, als ihn Absender oder Absenderin gemeint hat, bieten die Varianten unbeabsichtigter Missverständnisse natürlich beste Anregungen für die Bilder des Tanzes, im Solo, im Duett, in der Gruppe, in wechselnden Beziehungen.

So können die Tänzerinnen Inmaculada Marín López, Andrea Masotti, Denise Ruddock und Venira Welijan jeweils von den zarten Momenten berührender Einsamkeit bis hin zum wirbelnden Sprung des Übermutes allein oder stark in der Gruppe jeweils den individuellen Reichtum der Facetten ihres tänzerischen Könnens ins Spiel bringen. Sie landen alle auf jenem großen Sofa, sei es um sofort wieder aufzuspringen oder um einen Augenblick zu ruhen, oder auch um sich dahinter zu verbergen, wenn nämlich die Herren damit fertig werden müssen, dass sie überhaupt einen Liebesbrief erhalten haben, ganz zu schweigen davon, dass sie einen geschrieben hätten.

Mikaël Champs, René Klötzer, Stefan Kulhawec und Andrea Simeone können loslegen und rocken à la Elvis, „Love Me Tender“. Sie können das Sofa als Sprungbrett nutzen. Zur Ruhe zu kommen fällt ihnen schwer, wenn doch, dann kann es sogar sein, dass sie wie Andrea Simeone in einer Szene knapp über der Liegefläche waagrecht schweben. Natürlich denkt man bei diesem Sofa an die berühmte Couch des Dr. Freud. Und um so etwas wie Erkenntnisse geht es ja auch: zuzulassen, wohin und zu wem die Zuneigung führt, loszulassen, aufzustehen, zu vergeben, wie es im Song „Anyhow“ von Leonard Cohen heißt – „Hab Erbarmen mit mir, Schatz.“

Und immer wieder wird dieses Sofa für alle zum Sprungbrett der Gefühle bei entsprechender Musik, wie in einer mitreißenden Rumba-Version oder immer wieder zu den mitunter regelrecht sphärischen Klängen von Max Richters Nachkompositionen aus Vivaldis Zyklus „Die Vier Jahreszeiten“. Adriana Mortelliti mischt gekonnt Stile und Techniken des zeitgenössischen Tanzes mit der zärtlichen Eleganz neoklassischer Ansprüche, um dann wieder verblüffende Brüche zu präsentieren, wenn der sprühende Spaß der Show sich Bahn bricht.

Bei allem Übermut aber, bei allem Humor – die so sensible wie empfindsame, durchaus mitunter melancholische Grundierung dieser Choreografie ist von besonderer Kraft im tänzerischen Zusammenklang mit der Musikauswahl, etwa zu Max Richters „Novembersong“ oder einem Ausschnitt aus seiner Winter-Version nach Vivaldi zum Ausklang dieser Liebeserklärung von Adriana Mortelliti an den Tanz.

 

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