„Der Widerspenstigen Zähmung“ von John Cranko, Tanz: Ivy Amista und Yonah Acosta

Zum Finale des Münchner Cranko-Festes

„Der Widerspenstigen Zähmung“, von John Cranko 1969 aus Shakespeares Dichtung in ein unsterbliches Ballett übersetzt

Beim Cranko-Fest des Bayerischen Staatsballetts folgte nach „Onegin“ und „Romeo und Julia“ mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ eine Komödie.

München, 26/02/2018

Die Beliebtheit der großen Ballettdramen John Crankos ist über alle Zweifel erhaben. Bei ihren Aufführungen zählt, wie die große Linie und all die Details der plastischen Figurenzeichnung, die Cranko in seinen Choreografien angelegt hat, sichtbar und für die Zuschauer nachfühlbar werden. Beim Cranko-Fest des Bayerischen Staatsballetts folgte nach „Onegin“ und „Romeo und Julia“ mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ eine Komödie. Auf die Tragödien also ein Satyrspiel wie im antiken Athen? Das könnte man beinahe meinen, denn auch auf der Ballettbühne geht es grob zu bei diesem Kampf der Geschlechter, der im emanzipatorisch aufgeladenen Jahr 1969 beim Stuttgarter Ballett uraufgeführt wurde und seit 1976 in München im Bühnenbild von Jürgen Rose getanzt wird. Während der #MeToo-Debatte steht „Der Widerspenstigen Zähmung“ im gleichen Spannungsfeld wie damals. Hat da ein unzeitgemäßes Ballett solchen Erfolg? Wenn man es sieht, möchte man diese Frage nicht stellen. Zumal es bei Cranko nicht wie in einem Satyrspiel um derbes, befreiendes Lachen geht und schon gar nicht um freudige Affirmation eines lustigen Zähmungsprozesses. Hier läuft vielmehr alles auf ein feineres Lachen hinaus, das um patriarchale Strukturen und die darin behauptete Unterlegenheit des weiblichen Geschlechts weiß, aber ihre Überwindung großzügig voraussetzt. Das hat zur befreienden Folge, dass sich das unleugbare Vergnügen heutiger Zuschauer der gewitzten Vitalität aller daran beteiligten Akteure verdankt. Die Frage, ob Cranko hier die Struktur eines Handlungsballetts für unsere Zeit fand, erübrigt sich, denn diese Ballett-Komödie funktioniert immer noch mühelos, auch zur Musik von Shakespeares Zeitgenossen Domenico Scarlatti, die Kurt-Heinz Stolze zusammenstellte: Ihr Tanz bringt, oh einzigartiges Wunder, das Publikum wirklich zum Lachen!

Und das passierte jetzt wieder. Schon mit ihrem Auftritt zeigte Ivy Amista herrlich, wie Cranko seine Titelheldin im Kontrast zum „richtigen“ Ballettkanon all ihre Bewegungen garstig verunstalten lässt. Als sie die Freier ihrer Schwester Bianca arg gezaust hat und die sich im Wirtshaus ihre Wunden lecken, kommt völlig betrunken Petrucchio dazu. Ihn wies Yonah Acosta mit seiner zwischen virtuosen Sprüngen und Drehungen torkelnden Variation sofort als einen starken Kerl aus. Den von zwei Freudenmädchen seines letzten Hellers beraubten Kraftprotz dingen die drei Bianca-Verehrer dazu, Katharina zu heiraten, denn erst danach gibt der reiche Baptista auch seine liebliche Tochter frei. In deren vorschriftsmäßig korrektem Tanz verlor sich Prisca Zeisel technisch makellos in den Genuss, den sie als Bianca an den Geschenken und am Gefallen ihrer Verehrer fand. Doch wie viel interessanter war Katharinas Feuer, mit dem sie ihre Schwester attackierte, jetzt auch in Ivy Amistas Darstellung! Was Prisca Zeisel machte, war deswegen aber nicht schlecht. Sie brachte als Bianca auch im anschließenden Flirt mit dem Trio ihrer Verehrer tänzerische Stärken anmutig fließend zur Geltung. Es ist der aufbegehrende Bruch der Konventionen, mit dem Cranko seine Katharina so vorteilhaft inszeniert hat.

Dann treten die Verehrer Biancas hervor. Javier Amo könnte als alter Gesangslehrer Gremio, der mit seinen grellen Misstönen das brave Mädchen verschreckt, noch weit mehr schrullige Züge entwickeln. Als Gitarrenlehrer Hortensio, den Cranko neben den weiten Armschwüngen des Lyraspiels von Balanchines „Apollo“ sogar Jimi Hendrix zitieren lässt, fand Alejandro Virelles Gonzales elegant das Interesse Biancas. Doch Jonah Cook als Tanzlehrer Lucentio ist – damit grüßt Balanchine wieder – beiden Konkurrenten mit seiner Kunst überlegen, denn der Tanzkunst und ihrem Vertreter wendet sich Bianca am liebsten zu. Als Katharinas Attacke mit dem Subtext: „Was soll dieser Mist?“ zuletzt von Petrucchio gebremst wird, wehrt sie sich gegen den Tanz mit ihm. Doch dieser eigensinnige Mann interessiert sie; überrascht fängt sie an mit ihm zu interagieren, wird nachdenklich, sieht, dass auch ihr Rückfall ins Zänkische ihn nicht schreckt. Allmählich entwickelt sich zwischen beiden ein harmonischer Pas de deux, an dessen Ende sie so verträumt wirkt, als sehe sie die Erfüllung ihrer Wünsche, die ihr eben gerade bewusst wurden. Diese erste Annäherung erzählten Ivy Amista und Yonah Acosta sehr gut. Mit Katharinas im Pas de deux erreichten Einwilligung in die Hochzeit ist die Geschichte jetzt wesentlich weiter, aber noch weiterer Entwicklung bedürftig. Das wurde auch dadurch offensichtlich, wie lustig Katharina/Ivy Amista unter ihren Brautjungfern in bockiger Haltung mit ihrem weißen Brautschleier aussah. In der Unangemessenheit ihres Benehmens bei der Hochzeit überbot sie Petrucchio/Yonah Acosta, der mit einem temporeichen Solo die Autonomie seines freien Willens bewies, Katharina zu dem zwang, was sie doch auch wollte, und dabei gemeinsam mit ihr dem von Vladislav Dolgikh prächtig zur Karikatur stilisierten Priester übel mitspielte. Samt ihrer Erwartung eines erfreulichen Festes bringt Petrucchio alle Hochzeitgäste zu Fall und entführt Katharina. Das Publikum tobte, doch da war vieles noch zu achtsam getanzt, nicht voll ausgelebt.

Nach dem Ritt durch stürmischen Regen geriet Katharinas weitere Zähmung im Haus Petrucchios mit dessen vier Angst einflößenden Dienern darstellerisch nicht überzeugend. Jonah Cook aber strahlte als Lucentio mit starker Variation siegessicheren Mutwillen aus, als er beim Karneval die beiden Freudenmädchen anstiftet, sich als Bianca zu verkleiden. Nach Art der Commedia dell´arte werden Hortensio und Gremio getäuscht, heiraten sie und die echte Bianca bleibt für Lucentio. Beider Pas de deux wurde von Prisca Zeisel und Jonah Cook schön getragen getanzt, und man sah, was er ausdrücken soll. Doch damit man die Seligkeit, dass sie sich gefunden haben, mitempfindet, müssen beide noch mehr in die Emotion gehen. Dann wirft ihr Glück auch ein stärkeres Licht auf das Unglück der beiden, die hereingelegt wurden. – Katharinas Zähmung im Haus Petrucchios geht damit weiter, dass sie sehen soll, was er sieht. Ivy Amistas und Yonah Acostas Pas de deux wuchs aus widerstrebender Uneinigkeit zur Harmonie psychischer Nähe. Sie begann zu sehen, was er sah, und im Tanz, der im Ballett ja Leben bedeutet, ergänzten sich beide. Dann ritten sie durch Sonnenschein ihrer Hochzeit entgegen.

Acht Paare boten elegant das Geleit. Ein brillanter Pas de six, leichthin getanzt, war voller Bilder schöner Zweisamkeit. Wie Hortensio und Gremio von ihren Frauen düpiert werden und sogar Bianca ihren Lucentio enttäuscht, sollte man besser elaborieren. Doch kaum hatte Katharina auf Petrucchios Wink die anderen Bräute zur Raison gebracht, leerte sich die Bühne, das Bühnenbild von Jürgen Rose wurde luftig und licht, und Ivy Amista schwebte bezaubernd in den langen Hebungen von Yonah Acosta. Dieser Pas de deux konnte als Genuss erlebt werden, getragen von einem Temperament, das sich nach den nötigen Auseinandersetzungen frei zu echter Gemeinsamkeit entfaltet und im Überschwang endet, nicht pathetisch, sondern humorvoll. Dadurch wurde auch das Ergehen der anderen Paare günstig beeinflusst. Das Publikum empfand das Finale mit Yonah Acostas Manege und Ivy Amistas Grand Jetés als triumphal. Lobenswert waren auch wieder die präzisen Ensembleszenen, geprägt von der Heiterkeit John Crankos, des Meisters, der das Tiefste erzählt, während er sein Publikum zum Lachen bringt. – Dazu scheint das weitgehend erneuerte Ensemble des Bayerischen Staatsballetts nun den Zugang zu finden, doch bis es mit Crankos Erzählweise wieder vertraut ist und auch unter Igor Zelensky in dessen Erzählungen lebt, braucht es bestimmt noch ein wenig mehr Zeit.

 

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