„Hold On“ von James Wilton

Appell für mehr Menschlichkeit

James Wilton choreografiert "Hold On" in Münster

Ganz und gar nicht eintönig und farblos ist die Geschichte, die der Engländer mit dem Tanztheater Münster erzählt. Die Handlungsstruktur seines neuen Stücks ist klar, der akrobatische Anspruch enorm. Ein Novum in Münster.

Münster, 24/02/2018

Grau sind die Wände, schwarz der Boden – grau die losen Tops der zehn Tanzenden, schwarz ihre langen Hosen. Aber ganz und gar nicht eintönig und farblos ist die Geschichte, die der Engländer James Wilton mit dem Tanztheater Münster erzählt – als Mahnung vor der heute so viel zitierten „Gefahr für den sozialen Zusammenhalt und eine funktionierende Demokratie“.

In perfekter Harmonie und Verspieltheit schart sich das Ensemble anfangs um einen etwa zwei Meter hohen, aufgepflanzten Bambusstab. Einer fängt ihn im Fallen auf, stellt ihn wieder in die Mitte. Ein Paar tanzt wie siamesische Zwillinge, andere tollen wie verspielte junge Hunde miteinander. Nur einer hockt mit finsterem Blick am Rand. Als er sich zu der eng zusammen stehenden Gruppe drängt, bleibt er ein Außenseiter. Grimmig bemächtigt er sich des Bambusstabs, treibt die Gruppe vor sich her, trennt sie, schlägt durch die Luft.

Immer wieder stellt sich die Eine dem brutalen Finsterling entgegen, weicht seinen Stockschlägen mit Salti, Hechtsprüngen, gedrehtem Sprung aus oder indem sie sich unter die Stange duckt. Die temporeiche, spannungsgeladene Kampfkunst von Elizabeth Towles und Jason Franklin ist der faszinierende Höhepunkt der Tanzinszenierung.

James Wilton hat sich mit seiner 2010 in Cornwall gegründeten Truppe und als Gastchoreograf auch an kleineren deutschen Bühnen einen guten Namen gemacht. Der vielfach ausgezeichnete Engländer gewann 2012 beim Internationalen Choreografen-Wettbewerb Hannover den 3. Preis. Sein Tanztheater setzt auf aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. Seine Technik entwickelte der passionierte Sportler, der an Londons Contemporary Dance School ausgebildet wurde, aus Athletik, Kampfsportarten wie dem brasilianischen Capoeira und zeitgenössischen Techniken wie Contact Improvisation – ein Terrain, das in Münster bisher eher unbekannt war. Umso mehr staunt man über die unglaublichen Eskapaden, die das zehnköpfige Ensemble mit sekundengenauer Präzision vollführt.

Die Handlungsstruktur seines neuen Stücks „Hold On“ ist klar, der akrobatische Anspruch enorm. Beginnt die Rock-Klangkulisse zunächst harmonisch und sanft mit hellen Xylophon- und weichen Celloklängen, so entwickelt sie sich im Laufe der 75-minütigen Choreografie als Crescendo bis zu ohrenbetäubenden Dissonanzen mit immer eindringlicher werdenden, hämmernden afrikanischen Trommelschlägen.

Was erst ein Spielzeug war – die Bambusstange – wird nun zur Verteidigungs-Waffe für alle. Aber der Tyrann zwingt seine Kontrahenten, die Stangen auf dem Boden zu Quadraten zu ordnen, sodass jeder in einer kleinen Zelle – kaum zwei Meter lang in der Diagonale – isoliert ist. Später zwängt er mit der Berührung durch seine Stabspitze zwei in Posen, in denen sie wie eingefroren verharren. Die anderen häufen die Stäbe zwischen deren halb erhobene Arme und lehnen sie gegen die Körper – bis das Gebäude zusammenbricht. Am Ende stehen alle beisammen, als die einträchtige Einheit, die sie einst waren, aber nun sichtbar verletzt und beschädigt, einander tröstend, eng umfangen. Erschöpft und geschlagen sitzt der Angreifer an der Rampe. Die Frau setzt sich ihm gegenüber, rückt auf ihn zu – gibt es nicht auf, ihn zu erreichen. Ein beklemmendes Gefühl heutiger Wirklichkeit und Hoffnung bleibt zurück. Der Titel von Wiltons Tanzstück „Hold On“ impliziert „Gib die Hoffnung nicht auf“. Was doch Tanz heute alles tun und sagen kann. Hier ruft ein Choreograf in vielfältiger Kampfsportsprache zu mehr Menschlichkeit auf. Bemerkenswert!

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern