„Soul Chain“ von Sharon Eyal

„Soul Chain“ von Sharon Eyal

Sehnsucht – der größte gemeinsame Nenner

Ein taufrisches Meisterwerk bei tanzmainz: Sharon Eyals „Soul Chain“

Die Uraufführung versetzt das Publikum in einen absoluten Ausnahmezustand mit hohem Trance-Potenzial.

Mainz, 30/10/2017

Sharon Eyal, künstlerisches Ausnahmetalent aus Israel, ist eine der wenigen ChoreografInnen mit einer absolut einzigartigen Bewegungs-Handschrift. Ihre Choreografien sind unverwechselbar – und doch scheint ihr typisches Bewegungsvokabular jedes Mal aufs Neue hundertprozentig auf ihr Thema zugeschnitten. In „Corps de walk“ ließ Sharon Eyal die TänzerInnen der norwegischen Staatscompany „Carte Blanche“ einst gnadenlos marschieren; im jüngsten Stück „OCD Love“ (für ihre eigene Kompanie L-E-V) werden die TänzerInnen von den Techno-Beats ihres Hausmusikers Ori Lichtik regelrecht über die Bühne gejagt.

Gestampfte Formationen, wie besessen wirkende Repetitionen und gnadenlose Beschleunigung versetzten auch in ihrem neuen Stück „Soul Chain“ die TänzInnen von tanzmainz und mit ihnen das Publikum in einen absoluten Ausnahmezustand mit hohem Trance-Potenzial.

Die Sehnsucht nach der Liebe verbindet alle und so streben sie, die siebzehn Mitglieder des Mainzer Ensembles, nach oben. Auf „halber Spitze“ heißt der Fachausdruck für das Tanzen auf Zehnspitzen, aber bei Sharon Eyal ist es eher eine Dreiviertel-Spitze, ein gnadenloses Balancieren auf unsichtbaren High Heels, betont durch helle Kniestrümpfe. Männer wie Frauen tragen in hautfarbenen Trikots ihre eigene Haut zu Markte – immer in der Hoffnung auf den kurzen Moment des Glücks. Die Sehnsucht ist der größte gemeinsame Nenner, und doch betonen die exakten Formationen und kraftvollen Unisono-Auftritte zugleich die kleinen und großen individuellen Unterschiede.

Sehnsucht ist eine Sucht, die weh tut. Die Bilder, die Sharon Eyal dafür findet, gehen an die Schmerzgrenze und darüber hinaus. Viele stumme Schreie sind, wenn nicht zu hören, so doch zu sehen. Die kleinste Tänzerin, Maasa Sakano, muss sich ganz groß machen. Dafür reckt sie einen Arm rund 20 Minuten lang ausgestreckt in die Luft, so lange, bis auch der Letzte im Zuschauerraum ihre Schmerzen fühlt. Aber es gibt auch kurze ekstatische Momente des Glücks: wenn die Gruppe einzelne Tänzerinnen hoch in die Luft wirft und gemeinsam auffängt; wenn sich, nach mühsamster Annäherung, ein Paar findet.

Dass Sharon Eyal für die Kompanie von tanzmainz ein neues Stück choreografiert hat, ist etwas ganz Besonderes und nur erklärbar durch die vorangegangene Zusammenarbeit mit Tanzchef Honne Dormann. Dieser eröffnete seine auf Erfolgskurs eingestimmte Arbeit in der Domstadt mit Sharon Eyals „Plafona Now“. Wie schon fast Standard hat die Israelin, einst Star der Batsheva Dance Company, nun wieder ihr festes Team um sich geschart: ihren Lebensgefährten Gai Behar als künstlerischen Berater und den Musiker Ori Lichtik. Techno-Beats geben – vor sanfteren, melodischen Färbungen – den Ton an. Nach 55 Minuten ist alles vorbei, aber doch nicht zu Ende. Das Stück hallt noch lange nach, auf der Bühne und in den Köpfen der Zuschauer. Deren Antwort: Jubelschreie und Standing Ovations.

 

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