„Kill Your..!“ von Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till und Joseph Hernandez

„Kill Your..!“ von Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till und Joseph Hernandez

Vom Alltag in die Utopie und wieder zurück

Die Performance „Kill Your... “ in vier Akten von Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till und Joseph Hernandez im rekonstruierten Saal von Adolphe Appia im Festspielhaus Hellerau

Zwei Abende im Rahmen von Rekonstruktion der Zukunft, Raum – Licht – Bewegung – Utopie, kuratiert von Héctor Solari mit Ausstellungen, Installationen, Internationalen Gastspielen und Uraufführungen.

Hellerau, 25/10/2017

„Es war nicht weniger als der Aufbruch in eine neue Dimension“, so die Hellerauer Ankündigung zum Projekt, „Rekonstruktion der Zukunft - Raum, Licht, Bewegung, Utopie“. Weiter heißt es: „Als 1911 der Theaterreformer Aldolphe Appia, der Rhythmiker Émile Jaques-Dalcroze, der Architekt Heinrich Tessenow und der Künstler Alexander von Salzmann in Hellerau zusammentrafen, schufen sie mit dem Großen Saal des Festspielhauses den Idealraum für das Theater des 20. Jahrhunderts. Die von Appia aus flexiblen Elementen konstruierte Bühne und von Salzmanns schattenfreier Lichtraum eröffneten ganz neue Ausdrucks- und Inszenierungsmöglichkeiten.“

Und man kann diese Ankündigung weiter führen, denn mit der Auflösung der Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum, also keiner Guckkastenbühne mehr, war es auch möglich Theaterformen in allen Genres zu entwickeln, die bis heute in zeitgemäßen, vor allem in performative Formen, angewendet werden.

Für zwei Abende gehörte dieser Raum mit seiner „Rekonstruktion der Zukunft“ drei Tänzerinnen und einem Tänzer der Dresdner freien Szene. Zur Uraufführung kam die Performance „Kill Your...“ von Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till und Joseph Hernandez.

Zunächst aber, wenn man diesen Raum betritt kann man sich schon fragen, das soll es sein? So sieht diese „Rekonstruktion der Zukunft“ aus? Aber schon sind diese Gedanken weg, gekillt eben, denn man wird sofort zum Teil dieses Raumes, zumal man auch zunächst selbst diese Bühne betritt, sich zwischen dieser strengen, auch labyrinthischen, weißen Landschaft aus Podesten und Treppen bewegt um dann erst sich in die Zuschauerreihen zu setzen, umgeben von diesen weißen Stoffwänden, hinter denen von mehr als 5000 Glühbirnen eben dieses schattenfreie Licht in immer wieder anderen Stimmungen und Stärken, wird man in eine besondere, sehr angenehme, konzentrierte Stimmung versetzt.

Die Künstlerinnen und Künstler bringen beste Voraussetzungen mit für dieses Projekt nach dem, was man von ihnen in den letzten Jahren nicht nur in Dresden wahrnehmen konnte. Cindy Hammer hat gerade ein dreiteiliges Projekt abgeschlossen, in dem sie sich mit Filmgenres beschäftigt, Krimi, Western, Science Fiction.

Johanna Roggan erhielt vor einem Monat in der Semperoper den Förderpreis des Sächsischen Tanzpreises für ihre genreübergreifende Auseinandersetzung mit aktuellen Themen „Das Eigene I Heimat“.

Anna Till hat sich mit der Berliner Tänzerin Christina Ciupke in dem Projekt „undo, redo and repeat“ mit wichtigen Protagonisten der deutschen Tanzgeschichte auseinander gesetzt, Mary Wigman, Kurt Jooss, Dore Hoyer, Pina Bausch und William Forsythe.

Joseph Hernandez ist Solist im SemperoperBallett, Choreograf und Performer. Zuletzt, außergewöhnlich seine Choreografie zu Musik von John Cage, anlässlich der Dresdner Ausstellung über den Mystiker Jacob Böhme, in der er Momente schuf, in denen Cage´s Klänge der Stille sichtbar wurden.

Zunächst bewegen sie sich tastend, so wie das auch die Blicke der Zuschauer tun. Dann nimmt man sie immer stärker wahr, ihre körperlichen Dialoge, ihre Korrespondenzen zu diesen Formen der Elemente der Appia-Bühne, zur Höhe, zur Weite, immer wieder auch zum Boden. Sie erkunden die Geheimnisse, das Labyrinthische, sie verschwinden, dann sieht man nur eine Hand, einen Fuß, einen Kopf, einen Rücken, bevor sie dann wieder da sind. Man mag auch Zitate aus der Entwicklung des modernen, freien Tanzes, am Ort des Ursprunges wahrnehmen.

Sie führen stille Dialoge. Anna Till aber, in so humorvoller wie ironischer Moderation, erläutert mit Angaben der Höhe von Podesten, Anzahl der Stufen und Hinweisen auf das Material die technischen Einzelheiten, frei nach dem Motto: Glotzt nicht so romantisch! Die anderen nehmen einander Bewegungsthemen ab und variieren sie. Das ist spannend, denn da entstehen aus dem Nichts - und das ist richtig utopisch - poetische Bilder, wobei ob in Bewegungen, oder auch durch die Kleidung, Elemente des Alltags in dieser weißen, eben nicht alltäglichen Welt, von besonderer Bedeutung sind.

Sie reagieren aufeinander, miteinander, sie setzen sich in Beziehungen zu diesem Raum, sie nehmen die Klänge und Rhythmen des sensiblen Sounds der Musik von Johannes Till auf, korrespondieren mit den Lichtstimmungen von Falk Dittrich in der landschaftlichen Anordnung der Bühnenelemente der französischen Künstler Yannick Cosso und Jordan Pallagès: Diese Landschaft lebt, das Weiß hat Farben, man sieht auf einmal nicht Treppen und Podeste, sondern Täler und Hügel, Himmel und Erde. Und dann sind sie da, diese Momente der Freiheit. Immer wenn es den Künstlern gelingt den Zuschauer visuell in ihre Kommunikation mit einzubeziehen. Da ist sie, diese Kraft der Stille und der Konzentration, die Ahnung davon, wie wichtig es ist für Momente den Alltag zu verlassen um dann wieder zurück zu kehren. Und genau das machen Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till und Joseph Hernandez ganz humorvoll, am Ende.

Rhythmische Gymnastik, eine Endlosschleife, wenn eine Utopie zur Methode wird ist der Moment gekommen, in dem man denkt, so jetzt reicht es aber. Und genau in diesem Moment geht das Licht aus.

Das von Hector Solari kuratierte Projekt „Rekonstruktion der Zukunft“, mit Ausstellungen, Installationen, Internationalen Gastspielen und Uraufführungen geht noch bis zum 11. November.

 

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