„Until Our Hearts Stop“ von Meg Stuart

„Until Our Hearts Stop“ von Meg Stuart

Zwischen Lustgewinn und Einsamkeit

Meg Stuarts „Until Our Hearts Stop“ spaltet im HAU 2

All dies mit der Frage, wie viel Engkontakt zwischen Körpern möglich ist und wo seine Grenzen liegen.

Berlin, 21/10/2017

Wie ein dunkler See bedeckt Glanzfolie schräg die Szene im HAU 2. Sechs Performer legen sich, einzeln oder auch aufeinander. Aus dem zärtlich passiven Tasten nach dem Körper des Gegenüber entwickeln sich zu Live-Musik zunehmend riskanter Besteigungen und daraus einstürzende Balancen, als suche jeder Schutz beim Anderen. Niemand lässt los, das Leibergewölk, abgestützt wie ein gotischer Dom, ächzt und schnauft, flüchtet sich dann auf eine Couch. Einer macht sich nackig, drängelt sich dazwischen, setzt durch die physische Enge eine Sturmflut des Begehrens in Gang. Nicht jeder wünscht diese bedrängende Annäherung durch Befühlen, Beriechen, Hand- und Fußküsse, doch der Strudel der Gelüste reißt alle mit sich fort. Zusätzlich bloßgelegt durch Scheinwerferbatterien ergießt sich der verkeilte Lustpulk in den Raum. Zwei nackte Frauen leben im verklammerten Kampf, mit Haarziehen, Brustreißen, Genitalklatschern, Poblasen, Küssen und Vaginalstupsern, Körperfreuden aus.

Was Meg Stuart 2016 bei „Tanz im August“ auf die Volksbühne gestellt hatte, ihr Gruppenstück „Until Our Hearts Stop“, das bekommt im HAU durch die Nähe zum Zuschauer eine weit intimere und zupackendere Dimension. All dies mit der Frage, wie viel Engkontakt zwischen Körpern möglich ist und wo seine Grenzen liegen. Bisweilen schrammt das harsch am Pornografischen auf der Szene, am Voyeuristischen für den Zuschauer vorbei. Stuart ist indes gewiefte Theatermacherin genug, um über die fröhlich naive Unbefangenheit und die lustvolle Entdeckerfreude ihrer Performer dieser gefährlichen Lanze die Spitze zu nehmen. Ein Paar ringt im mittigen Sitz lange um den Optimalorgasmus, bis es aus der Rüttelbewegung kaum mehr den Ausgang findet. Dann geht es ans Zusehvolk. Früchte, Whiskey, Kuchen, Knete werden verteilt, jeder kann sich sein Lieblingsmotiv formen. Für die Akteure bedeutet das Verschnaufpause, für die Zuschauer das Gefühl von aktiver Mitgestaltung und Brechung des Befremdens über so viel vorgeführte Lust.

Dann aber geht es wieder hart zur Sache, diesmal mit diversen Schlagtechniken zwischen Männern. Peitschend und sicher auch schmerzend prasseln die Schläge mit Lustgewinn auf nackte Haut und wechseln mit Streichelvorgängen, die unvorhersehbar wieder in Gewalt umschlagen. Sich ausleben in jeder Situation, ganz bei sich sein, Hemmungen aller Art verlieren ist hier eines der Themen von Meg Stuart. Hemmungen hat noch ein Moderator im Frack, ob denn die Mutter im Auditorium sei. Seinem Pianisten legt er zum Gaudi des Publikums Flüstergeständnisse ab. Wenn er raunt, nicht mehr im Mittelmeer schwimmen zu können, geht Slapstick in Politsatire über; wenn er den Namen Volksbühne kaum mehr auszusprechen wagt, feiert er süffisant Lokalbezug. Weshalb eine Magieshow mit Zaubertricks folgt, gehört zu den Unbegreiflichkeiten einer reichlich zweistündigen Inszenierung mit dynamisch geschickter Struktur und dem überraschenden Ende Einsamkeit. Stuart ist da wieder bei ihren Anfängen, obgleich nun weniger zerquält.
 

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