„Wigman wieder-holen“ von Johanna Roggan und Romy Schwarzer

„Wigman wieder-holen“ von Johanna Roggan und Romy Schwarzer

Das leise Ausatmen der Hände

In Dresden geht die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tanzerbe Mary Wigmans weiter

Sie hat den zeitgenössischen Tanz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts derart geprägt, dass Mary Wigmans Wirken noch heute in Dresden, dem Gründungsort ihrer Schule für Modernen Tanz, Stoff für performative Reflexionen bietet.

Dresden, 14/09/2017

Der Verein Villa Wigman für Tanz e.V. hat erst kürzlich den Meilenstein feiern dürfen, dass die Stadt Dresden sich dazu entschlossen hat, das Gebäude auf der Bautzner Straße, in dem Mary Wigmans Schule untergebracht war, vom Freistaat zu kaufen und mit dem Verein in Verhandlungen über ein Nutzungskonzept zu treten. Und nun folgt der nächste Schritt. Im Rahmen der Unterstützung durch den Tanzfonds Erbe für das Projekt „Bautzner Straße 107, Past Present Future“ haben drei Choreografinnen und ein Choreograf, allesamt Mitglieder des Vereins, vier kurze Stücke erarbeitet, in denen sie sich mit ihrer eigenen Sicht auf das Erbe der Künstlerin auseinandersetzen.

Den Anfang machte Katja Erfurth mit „Resonanzen“, in dem sie quasi fast selbst zu Mary Wigman wurde. Ein weites, tiefschwarzes Gewand ließ ihren Körper konturenlos erscheinen, desto beredter erschienen ihre bloßen Hände und Füße. Auch ihrem Gesicht war keine Individualität zu entnehmen: eine Maske, ein alter Mensch, eine Frau, vielleicht doch ein Mann, fast ausdruckslos. Oder irgendwie in Gedanken versunken. Was will dieser Mensch? Es dauert lange, bis sich die Füße vom Boden abheben. Percussions fördern einen gewissen sinisteren Eindruck. Konzentriert langsame Bewegungen erinnern an Ansätze aus dem Butoh, eine Bewegungsform mit der Mary Wigman bekanntlich auch Berührungen hatte. Diese Entfremdung, die Ent-Individualisierung wirft eine interessante Frage auf: Wie viel Katja Erfurth steckt da drin? Die Möglichkeiten der Lesbarkeit sind hier reduziert auf die einzelne Hand, den einzelnen Fuß. Und der könnte eben der Fuß von Mary Wigman sein.

Johanna Roggan will gemeinsam mit Romy Schwarzer auf ganz andere Weise „Wigman wieder-holen“. Ihr Ansatz ist weniger virtuos, sondern eher mechanisch, stumm gestisch. Jede Bewegung wird in ihrer Anatomie seziert, vor großen Spiegelflächen überprüft, hinterfragt und abgetastet. Die Einordnung, eine Bewertung des Erfahrenen, bleibt aber aus. Zwingend notwendig ist das ohnehin nicht.

Eine Reise zu den Niagara-Fällen auf dem Touristenboot „Maid of the Mist“ unternehmen Anna Till und Ulrike Feibig. Dort, an den Niagara-Fällen, war es, dass Mary Wigman eine besondere Eingebung hatte. Ihre eigenen Äußerungen dazu, aber auch Reflexionen über Haltung und Bewegung im Raum von eher allgemeinerer Natur werden per Ton eingespielt und von Ulrike Feibig gelesen. Eine im Grunde genommen akademische Recherche, deren Unterton allerdings unklar erscheint, sobald Regencape und Blumensprüher die Atmosphäre ‚nachbauen’ sollen. Ist das ironisch gemeint? Die gesamte Sache scheint noch nicht komplett ausgesessen. Am Ende hört das Publikum ein Gespräch der beiden, in denen sie bislang zu keinem Ergebnis gekommen sind, was Mary Wigmans Verstrickungen in den Nationalsozialismus betrifft. Das macht aber nichts. Es handelt sich eben um einen Arbeitsprozess.

Spätestens, wenn Isaac Spencer die Bühne betritt und in großen, ausladenden Gesten in schummrigem Licht „the heart of the matter“ befragt, fällt auf, dass er in diesem Reigen der einzige Mann ist, der sich mit der weiblichen Figur Mary Wigmans auseinandergesetzt hat. Seine Arbeit zeigt auch, dass dieser Gedanke nicht von ungefähr kommt. Während er zu verhaltenen Sounds seinen eigenen Atem in die akustische Landschaft einfügt, ist sein Gestus ganz deutlich ein maskuliner. Ein bisschen wirkt es, als würde er sein eigenes Wesen Mary Wigman gegenüber stellen wollen. Das gelingt ihm in einem Kraftakt, der das Publikum zurecht begeistert hat.

 

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