Differenzen und Fragilität

K&C Kekäläinen & Company mit ihrem Stück „Hafed Collage of Differences and Fragility“ am letzten Wochenende des Festivals Tanz im August in Berlin

Die finnische Choreografin Sanna Kekäläinen hinterfragt die Sehgewohnheiten normierter Körperbilder und den vorschnell urteilenden Blick.

Berlin, 04/09/2017

Die minimalistische Bühne in dem hohen, hellen Festsaal der Sophiensaele ist mit weißem Tanzboden ausgelegt. Bis auf zwei aufklappbare schwarze Schlafmatten und einer spärlichen Lampe bleibt die Bühne karg und gleichzeitig in warmes und intimes Licht getaucht. Der Abend beginnt mit einem Prolog der finnischen Choreografin Sanna Kekäläinen, in welchem sie von ihrem Freund Hafed erzählt, dem dieses Stück gewidmet ist. Er wurde in Algerien geboren und lebt heute ohne Aufenthaltsgenehmigung in Paris.

Im ersten Teil des Stückes bleibt Sanna Kekäläinen allein auf der Bühne und wird im zweiten Teil Gesellschaft von der Performerin Maija Karhunen bekommen. Die Bewegungssprache ihres Solos zu Beginn wirkt zwar in der Form teilweise befremdlich, doch verwandelt die intime Atmosphäre und die ruhige und unaufgeregte Haltung der Bewegungen in eine berührende und sensible Choreografie, die man zurückhaltend verfolgt, ohne dass man sich als Eindringling in dieser zarten Welt fühlt. Die Hände wandern dabei suchend über den Körper, halten inne, um sich die Ohren zu verschließen, in den Hosenbund zu rutschen oder die Beine an den Oberschenkeln wegzupressen, wenn sie im Schulterstand mit gespreizten Beinen Richtung Boden fallen. Genauso suchend wirken auch Zunge und Augen.

Auch im zweiten Teil, wenn die bewegungseingeschränkte Performerin Maija Karhunen dazukommt, bleibt diese Atmosphäre unverändert. Sie beginnt ihr nacktes Solo während Kekäläinen zusammengerollt mit dem Rücken zu uns auf den Schlafmatten liegt. Danach ziehen sie sich an und beginnen den jeweils andere Körper respektvoll und liebevoll zu ertasten und zu testen, Fingerspitzen suchen nach Knien, die Stirn lehnt gegen einen Oberarm. Jede anfängliche Hemmung der Zuschauenden, die beiden Körper beim Aus- und Anziehen und bei ihren Bewegungen zu verfolgen, schwindet in kurzer Zeit und was bleibt, sind die Fragen an sich selbst, an den eigenen Voyeurismus, die Sehgewohnheiten normierter Körperbilder und das Hinterfragen des eigenen beobachtenden und zu Zeiten vorschnell urteilenden Blickes.

Die politische Dimension, die dem Körper als solchem innerhalb der Welt immer zukommt, lässt sich bei körperlichen Aushandlungen auf einer Bühne grundsätzlich nicht umgehen, doch bei diesem Stück drängt sie dringlich in den Vordergrund. Denn bei Kekäläinen bestimmt diese Körperlichkeit auch die Form, den Inhalt und die Bewegungssprache selbst. Die finnische Choreografin, die in den 1980er Jahren an der London School of Contemporary Dance studierte und 1986 Gründungsmitglied des heutigen Zodiak-Center for New Dance in Helsinki war, bringt in ihren Stücken damit immer wieder vehement die zentralen Fragen unseres Seins auf die Bühne und bietet auf subtile Weise einen anhaltenden Widerstand gegen flüchtige Urteile und polarisierende Ausschweifungen.

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